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Kultur im politischen Raum

Wynton Marsalis: Dedication to the Cause of Democracy, Filmstill

Nach einigen Tagen des Zählens und langen Wartens ist am letzten Freitag das Ergebnis der Wahl zum nächsten Präsidenten der USA verkündet worden. Die Wahl ging zugunsten des demokratischen Präsidentschaftskandidaten aus, der damit dem derzeitigen Amtsinhaber im Januar folgen wird.

Kaum eine andere amerikanische Präsidentschaftswahl hat sowohl in den USA als auch in vielen anderen Staaten, insbesondere zahlreichen europäischen, die Gemüter derart erhitzt. Sie hat hier und dort die Menschen in höchsten Maße mobilisiert, was die enorme Wahlbeteiligung im Land ebenso zeigt wie die immense Teilhabe der Menschen und Medien im Rest der Welt.

Die ihr schon im Vorfeld zugeschriebene symbolhafte Wirkung und historische Dimension ist im aufgeheizten Klima während des Wahlgangs und der Auszählungstage mit steigender Intensität und Nervosität beschworen worden.

Diese symbolische Kraft bezieht diese Wahl daraus, dass im mächtigsten Land der Welt nicht nur zwei Kandidaten mit unterschiedlicher politischer Ausrichtung zur Wahl standen, sondern entschieden wurde über den Fortbestand der amerikanischen Demokratie und der Geltung der Verfassung, der Gesetze und der Institutionen. Diese standen selbst auf dem Spiel.

So die allgemeine Wahrnehmung von all jenen, die darin die Grundlagen und Werte der amerikanischen Gesellschaft sehen – und diese Wahrnehmung fand ihre Bestätigung in eigentlich jeder der Regungen und Äußerungen sowie des gesamten Verhaltens des amtierenden Präsidenten.

In seiner Person, seinem Verhalten und seiner Amtsführung verkörperte sich und kulminierte das unheilvolle Potenzial dessen, was im Politischen als Populismus bezeichnet wird – eine politische Bewegung, die sich auf das demokratische Prinzip der Mehrheit beruft, aber darüber hinaus für die Regeln und Werte der demokratisch organisierter Gesellschaften keinerlei Anerkennung und Respekt zeigt. Im Gegenteil, diese sogar offen angreift.

In all den Jahren, in denen diese politische Tendenz ihre Wirkung entfaltet hat, ist auch die Frage akut geworden, wie sich die Kultur dazu verhält. Welche Rolle Kultur und Künste sowie die darin agierenden Menschen spielen sollen.

„The question that confronts us right now as a nation is: Do we wanna find a better way?“

Wynton Marsalis

Dazu ist es zunächst wichtig zu betonen, dass es „die“ Kultur so nicht gibt. So vielfältig wie die Menschen und ihr schöpferischer Ausdruck, so vielfältig die Haltungen und Meinungen all jener, deren Profession und Leidenschaft Kunst und Kultur sind – viele teilen Ansichten der Populisten und unterstützen deren Politik.

Auf der Suche nach substanziellen Beiträgen Kulturschaffender zum politischen Prozess lässt sich eines feststellen: Dort, wo sie sich außerhalb ihrer künstlerischen Medien äußern, mögen sie zwar mehr Resonanz bekommen als viele andere, doch haben ihre Beiträge nicht notwendig mehr Substanz und Relevanz.

Dort aber, wo sie sich auf ihr eigenes Medium besinnen – das künstlerische Bild, den literarischen Text, die Musik etc. – wo sie mit Wucht die Wirkung von Kultur und Kunst selbst entfalten können, leisten sie einen substanziellen Beitrag zur politischen Kultur einer Gesellschaft und für das Zusammenleben als Gemeinschaft.

In großartiger Weise gelungen ist dies Wynton Marsalis, seit Jahrzehnten weltweit einer der herausragenden Trompeter, mit dem Video Dedication to the Cause of Democracy, das er im Vorfeld der Wahl in den USA veröffentlichte und das auf Youtube zu sehen und zu hören ist.

„Jazz music is the perfect metaphor for democracy.“

Wynton Marsalis

Die Wahl des Ortes, seine Worte, die Musik und das eingeblendete Bildpanorama fügen sich zu einem künstlerischen Ausdruck, in dem sich alles, was auf dem Spiel stand, zu einem bezwingenden und berührenden Moment verdichtet.

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Wolken und Maschinen. Über die Betrachtung und Konstruktion mobiler Ordnungen

Gustav Kampmann: Eisenbahn am Abend, um 1895, Lithographie

– I –

Was ist eine Dampflokomotive?

Meine Kindheitserfahrungen unterscheiden sich – was niemanden wundern wird – wie die aller älteren und mit mir Gleichaltrigen in einigen Dingen von der jungen Generation, die jetzt aus der Schule kommt und in die Ausbildung geht, ein Studium beginnt, direkt in das Berufsleben einsteigt oder auch einen völlig anderen Lebensplan verfolgt.

In meiner Kindheit und Jugend gab es nur drei Fernsehprogramme. Deren Sendezeit begann ab etwa 17 Uhr und sie endete mit dem Sendeschluss nach Mitternacht. In den vielen Stunden dazwischen konnten wir uns ausführlich der Betrachtung des Testbilds hingeben, allerdings nur solange wie der dazugehörige Testton auszuhalten war (für all jene, die noch keine Gelegenheit dazu hatten, hier ein exemplarisches Testbild).

Es gab zwar die ersten Personal-Computer, doch kaum jemand in unserem Umfeld hatte davon genauere Kenntnis oder besaß gar einen. Die ersten Geräte dieser Art, die ich persönlich zu sehen bekam, waren ein ZX 81 und ein Commodore 64, die in der Oberstufe von Schulkameraden in den Physik-Unterricht mitgebracht wurden. Erst im Studium lernte ich den Umgang damit und erwarb meinen ersten eigenen Computer (auf Empfehlung meines besten Freundes einen, auf dem ein buntes Äpfelchen als Logo angebracht war).

Schließlich fand sich auch, gegen Ende meines Studiums, das Internet ein. Es gäbe noch einiges mehr aufzuzählen, ich möchte hier aber nur noch von einer Sache sprechen: Durch meine Kindheit fuhren alltäglich noch Dampflokomotiven.

Das war damals etwas sehr Aufregendes für uns Kinder. Ganze Nachmittage verbrachten wir damit, im Gras am Bahndamm sitzend auf den nächsten Zug zu warten, damit dieser dann wie all die anderen zuvor mit großem Lärm und dem charakteristischen rhythmischen Stampfen über uns hinweg stob.

Wir legten uns so nah wie möglich an die Gleise, und fest ins Gras gepresst, den Kopf hochgestreckt konnten wir so, da bei der Dampflok die Maschinerie außen sichtbar liegt, genau das Zusammenspiel des heftig und präzise treibenden Gestänges mit den gleichmäßig rollenden Rädern sehen. Drüber der dunkelschwarze Leib aus dem sich wiederum ein zumeist weißes und zunächst schmales, dann sich mit der Höhe ausbreitendes und farblich reicher schimmerndes Gewölk erhob.

Manchmal ging es steil, fast stehend nach oben, manchmal schien es schräg hinterhergezogen und einige Male sank es, dunstig und grau, aschenartig auf uns herab – dann rannten wir schnell raus aus der dunklen Wolke, weil das nicht ganz geheuer war.

Unter all dem, was mich damals faszinierte, ist mir immer besonders der immense Kontrast zwischen dem, was sich da ganz unten abspielte und dem, was sich da oben ereignete, in lebhafter Erinnerung geblieben.

Dass die Lokomotive einen Zug hinter sich zog und mit ihm Menschen von einem Ort an einen anderen – was schließlich der Zweck ihrer ingeniösen Konstruktion und das Ziel ihres Einsatzes war – kam mir kaum in den Sinn.

Hätte mich jemand gefragt, was eine Dampflokomotive ist, ich hätte geantwortet:
Eine Maschine zur Herstellung von Wolken.

– Fortsetzung folgt hier: Was sind Wolken?