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Publizistik Verlage

Mit Leidenschaft und Akribie für die Kunst. Abschied vom Piet Meyer Verlag

Zwei Programme aus dem Piet Meyer Verlag

Einen Verlag zu gründen, das ist in unserer Zeit an sich schon ein gewagtes Unterfangen, hat das Buch doch mit der Verbreitung digitaler Medien und ihrer inzwischen universellen und zumeist kostenlosen Verfügbarkeit im Internet einen großen Teil an Aufmerksamkeit, Attraktivität eingebüßt, und damit an Zeit, die sich die Menschen dafür nehmen – und das so weit, dass seither immer wieder das Ende des Buchs vorhergesagt wird.

Einen Verlag für Kunstbücher zu gründen ist noch verwegener. Das ist ein Bereich, der ohnehin zu den kleinen Segmenten im Markt gehört. Außerdem ist in diesem Feld – abgesehen von Begleitbüchern und Katalogen zu populären Großausstellungen – eine sinkende Nachfrage zu verzeichnen, die vielfach zu kleineren Auflagen bei anspruchsvollen oder wissenschaftlichen Publikationen geführt hat, oder zur Rotation von Titeln mit den sattsam bekannten Berühmtheiten der Kunstgeschichte, oder schließlich zur Konjunktur hübscher, aber zumeist recht substanzloser Coffee-Table-Books.

Diesen seinerzeit schon spürbaren und heftig diskutierten Trends trotzte Piet Meyer mit der Gründung seines Piet Meyer Verlages im Jahr 2007. Überzeugt davon, dass die Zeit der dicken Ausstellungskataloge vorbei ist und mit den kleinen und feinen Bändchen der französischen Edition L’ Èchoppe als Initialzündung im Kopf machte sich der Schweizer Ethnologe und Kunsthistoriker daran, Bücher zur Kunst zu veröffentlichen – keine dicken Wälzer oder langen Abhandlungen, sondern eher kürzere Texte in kleinerem Format, aber: mit Substanz!

„Ich wollte kein akademisches Geschwafel, sondern Texte mit persönlichem Zugang zu Künstlern.“

Piet Meyer gegenüber Christoph Hartner, Kronenzeitung – Steirerkrone, 13. August 2013, http://www.pietmeyer.ch/ueber_uns.php

Und das ist ihm gelungen. In den knapp 14 Jahren seiner Verlagsarbeit hat er mit großer Leidenschaft und beachtlichem Kennersinn Texte aus alten Zeitungen oder Zeitschriften, aus früheren Buchpublikationen, aus Archiven oder Museen und anderen durchforschten und durchforsteten Quellen ans Licht gebracht, indem er sie als Bücher drucken ließ.

Nach der Publikation der ersten Bände in der Reihe „KleineBibliothek“ und ihrer überaus guten Aufnahme in den (Kunst-)Buchhandlungen und bei kunstinteressierten Menschen, folgte die Einführung der Reihe „NichtSoKleineBibliothek“. Verlag und Formate wuchsen weiter. Es kamen die Reihen „Offene Bibliothek“ und „KapitaleBibliothek“ hinzu.

Zu den Entdeckungen mehr oder weniger alter kunsthistorischer Zeugnisse publizierte er bald Ersterscheinungen von aktuellen Titeln, die sich insbesondere mit zeitgenössischen Künstlern und Künstlerinnen befassen wie Lucian Freud, David Hockney oder Louise Bourgeois.

Egal ob Historisches oder Aktuelles, bei Piet Meyers Büchern handelt es sich durchgehend um Publikationen mit Substanz und Relevanz.

Verlagsankündigung zu Linda Nochlin: Misère. Darstellungen von Armut im 19. Jahrhundert. Piet Meyer Verlag, Bern/Wien 2020

Das letzte in seinem Verlag erschienene Buch ist Misère. Darstellungen von Armut im 19. Jahrhundert von Linda Nochlin – und es wird also auch das letzte bleiben. Es war übrigens auch ihr letztes Buch. Es ist 2018 im Verlag Thames and Hudson auf Englisch publiziert worden (Misère. The Visual Representation of Misery in the 19th Century), aus dem Nachlass der – in Fachkreisen berühmten – amerikanischen Kunsthistorikerin.

Linda Nochlin, in New York geboren, lebte von 1931 bis 2017. Ihr Studium in Kunstgeschichte schloss sie mit der Promotion über Gustave Courbet ab. Danach unterrichtete sie an verschiedenen Hochschulen. Neben ihrer Forschungsarbeit zur Kunst des 19. Jahrhunderts widmete sie sich insbesondere der Frage nach der Rolle der Frauen in der Kunstgeschichte. Sie hielt als erste Vorlesungen zu diesem Thema und rüttelte mit ihrem Essay Why Have There Been No Great Woman Artists?Warum gab es keine großen Künstlerinnen? den sie 1971 veröffentlichte, die gesamte – männliche – Fachwelt auf.

Diese Publikation gehört heute, wie die darauf folgende Ausstellung Women Artists: 1550–1950 im Jahr 1976, zu den Gründungsdokumenten der feministischen Kunstwissenschaft oder umfassender gesagt, einer Kunstgeschichtsschreibung, die alles in den Blick nahm, was bisher aus dem Wahrnehmungsbereich des Faches ausgeblendet geblieben war, weil es nicht dem bis dahin alles beherrschenden Konzept entsprach, das allein große Männer europäisch-westlicher Prägung als Schöpfer von Kultur und Kunst betrachtete.

Daher richtete sich auch das Interesse Linda Nochlins nicht nur auf die Frauenrolle in der Kunst, sondern überhaupt auf die sozialen Bedingungen der Kunst, und zwar ebenso der Kunstschaffenden, wie der Darstellung sozialer Verhältnisse als ihr Motiv. Dafür steht diese nachgereichte Studie mit ihrem sprechenden Titel Misère exemplarisch – für das behandelte spezifische Phänomen wie für das gesamte Feld sozialhistorischer Kunstwissenschaft.

„Der Einfluss von Linda Nochlin im Bereich kritischen Denkens und Schreibens ist legendär. Wer sich für die Probleme der heutigen Zeit interessiert, muss dieses Buch lesen: eine zentrale, absolut relevante Analyse, auch zur Gegenwart.“

Cindy Sherman, im Verlagsprogramm zitiert

Mit der Publikation dieses Titels hat sich Piet Meyer einmal mehr verdient gemacht, indem er diese bedeutende Kunsthistorikerin mit diesem historisch wie gegenwärtig brennenden Thema den deutschen Leserinnen und Lesern zugänglich macht und ins öffentliche Bewusstsein bringt.

Umso größer ist das Bedauern, dass diesen verlegerischen Verdiensten keine weiteren mehr folgen werden.

Auf seiner Website informiert Piet Meyer darüber, dass seine Titel weiterhin im Buchhandel erhältlich und bestellbar sind und bleiben werden. Es sind insgesamt 60 Titel, die lieferbar und z.B. bei Buchkatalog.de vollständig durchgeschaut werden können. Es ist zu wünschen, dass sämtliche verfügbare Exemplare ihre Leserschaft finden.

Über die Gründe für die Beendigung seiner Verlagstätigkeit macht Meyer keine Angaben. Statt Überlegungen dahingehend zu erörtern, schließen wir uns seiner Diskretion an – und wünschen dem nun ehemaligen Verleger, der so viele informative und anregende wie auch schöne Bücher allen Kunstinteressierten als wahre Lesefreuden dargeboten hat, nur das Beste für seine künftigen Unternehmungen und ihn selbst.

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Buchvorstellung Kunstgeschichte

In Kunst und Leben vereint

Hans Purrmann und Mathilde Vollmoeller-Purrmann auf Korsika 1912
Foto: Pressemitteilung, Hans Purrmann Archiv München

Künstlerpaare der Moderne

Aus Anlass des 30-jährigen Jubiläums des Museums Purrmann-Haus Speyer fand am 6. und 7. Juli 2021 ein kunstwissenschaftliches Symposium statt zum Thema Künstlerpaare der Moderne. Hans Purrmann und Mathilde Vollmoeller-Purrmann im Diskurs. Die Tagung war eigentlich für den Herbst des letzten Jahres vorgesehen, musste aber wegen der Pandemie verschoben werden und konnte auch jetzt nur online realisiert werden.

Der schöpferische Prozess, aus dem das entsteht, was wir gemeinhin Kunst nennen, wird im Allgemeinen als höchst individuelle Angelegenheit verstanden – als ein Prozess der Auseinandersetzung des künstlerischen Subjekts mit sich und der Welt. Wie es aus diesem Ringen seinen eigenen künstlerischen Kosmos entwickelt, entwirft und als Kunst verwirklicht, gehörte seit jeher zu den Phänomenen, die auf andere Menschen sowohl zu Lebzeiten als auch im historischen Rückblick eine schwer greifbare Faszination ausüben.

Da selbst das einsamste Subjekt und selbst einzigartigste Werke niemals allein aus sich heraus existieren und nur in der Beziehung zur Welt, zu den Menschen und zur Kunst, die sie umgeben, spielt dieses Beziehungsgeflecht für diese Faszination eine fundamentale Rolle.

Das ist einer der Gründe, warum die Aufmerksamkeit dafür noch größer ist, wenn in menschlichen Beziehungen zudem schöpferische Bestrebungen bei allen Beteiligten eine herausragende Rolle spielen – in künstlerischen Gemeinschaften zum Beispiel, wie sie sich insbesondere seit dem 19. Jahrhundert ausgebildet haben, etwa der Gruppierungen seit dem Impressionismus, der Brücke oder dem Blauen Reiter.

Eine sehr besondere Konstellation in der Verquickung menschlicher und künstlerischer Beziehungen bildet das Künstlerpaar und die damit einhergehende Verbindung von Lebensgemeinschaft und künstlerischer Arbeit.

Weil Hans Purrmann zusammen mit seiner Frau Mathilde Vollmoeller-Purrmann eines der bedeutenden Malerpaare der Klassischen Moderne bildete, hat sich nun das Purrmann-Haus Speyer zu seinem Jubiläum diesem Thema gewidmet.

Der Briefwechsel zwischen beiden ist zuletzt in zwei Bänden (Informationen siehe unten) von Felix Billeter (Hans Purrmann Archiv München) und Maria Leitmeyer (Purrmann-Haus Speyer) herausgegeben worden. Damit kann nun ein umfassender Einblick in die Eigenarten ihrer menschlichen und künstlerischen Beziehungen gewonnen werden.

Das Symposium stellte ihr Verhältnis in den Kontext anderer Paarbeziehungen zwischen Künstlerinnen und Künstlern ihrer Zeit. Es ging darum das „breite Spektrum vielfältiger Lebensbilder“ aufzuzeigen und die „Rollenverteilung in Partnerschaft und Familie sowie die Ausbildung, der Alltag der künstlerischen Arbeit oder Stellung und Rang im Ausstellungswesen“ zu thematisieren.

„Warum bist Du nicht mein Geliebter – dann wäre ich jetzt eine große glückliche Künstlerin, so bin ich bekanntlich eine tugendsame Frau und Hausfrau.“

Sabine Lepsius an Reinhold Lepsius, Brief vom 29.10.1902. In: Künstlerpaare der Moderne, S. ##

Unter dem Titel »Es ist recht leer ohne Dich«. Künstlerpaare der Moderne leiteten Felix Billeter, Leiter des Hans Purrmann Archivs in München und Maria Leitmeyer, Kustodin des Museums Purrmann-Haus Speyer, in das Thema der Tagung ein.

Ihnen folgte Peter Kropmanns, freier Kunsthistoriker in Paris, der in seinem Vortrag Vom Schatzfund zur Brücke. Der Briefwechsel von Hans Purrmann und Mathilde Vollmoeller-Purrmann und der Diskurs mit anderen Künstlerpaaren ausführlich auf dieses Künstlerpaar einging sowie die Publikation ihres Briefwechsels besprach und würdigte.

Danach folgten die exemplarischen Vorträge zu einzelnen Künstlerpaaren, hier vollständig im Überblick:

Oskar und Marg Moll. Ein großbürgerliches Künstlerpaar zwischen wilhelminischer Ära und nationalsozialistischer Diktatur von Gerhard Leistner, ehemals Kunstforum Ostdeutsche Galerie Regensburg

Leo von König und Mathilde Tardif. Panoptikum der Gesellschaft um 1900 von Ingrid von der Dollen, freie Kunsthistorikerin

»Nicht zum Paradiesvogel bestimmt«. Das Künstlerpaar Reinhold und Sabine Lepsius von Annette Dorgerloh, Humboldt-Universität zu Berlin, Institut für Kunst- und Bildgeschichte

Gabriele Münter und Wassily Kandinsky. Geschichte und Rezeption eines Künstlerpaares der Moderne von Isabelle Jansen, Gabriele Münter und Johannes Eichner-Stiftung, München

Beziehung als Kunststoff. Das Künstlerpaar Alexej von Jawlensky und Marianne von Werefkin von Roman Zieglgänsberger, Museum Wiesbaden

Max Beckmann und Minna Tube. Märchenprinzessin und Seelenverwandte von Christiane Zeiller, Max Beckmann Archiv der Bayerischen Staatsgemäldesammlungen München

Jury der Münchener Neuen Secession 1919; Maria Caspar Filser sitzend 1 v. l.,
Karl Caspar sitzend 4. v. l.
Foto: Aus dem besprochenen Band; Archiv Haus Caspar-Filser Brannenburg, Felicitas Köster und Felix Zender

Mein Beitrag mit dem Titel Eigenart und Einklang. Die Kunst- und Lebensgemeinschaft von Maria Caspar-Filser und Karl Caspar stellte dar, wie aus einer Kindheitsfreundschaft eine beständige und befruchtende Lebens- und Kunstgemeinschaft erwuchs:

Maria Filser und Karl Caspar, die 1907 heirateten, lebten und arbeiteten in engster Verbundenheit und zugleich in völliger künstlerische Eigenständigkeit. Dieses Wechselspiel zwischen der künstlerischen Eigenart der beiden und ihrem Leben und Wirken im Einklang macht sie zu einem der bemerkenswertesten Paare in der Geschichte der Bildenden Kunst.

„Für uns marschieren an der Spitze der eindrucksfähigsten Bilder wiederum jene des Ehepaares Caspar.“

Besprechung der 9. Ausstellung der Münchener Neuen Secession, Bayerische Sonntagszeitung, 23.07.1923

Sämtliche Vorträge dieses Symposiums sind im dazu erschienenen Tagungsband enthalten:

Künstlerpaare der Moderne

Künstlerpaare der Moderne. Hans Purrmann und Mathilde Vollmoeller-Purrmann im Diskurs, Hrsg. v. Felix Billeter und Maria Leitmeyer, 176 Seiten, 60 Abb., ISBN: 978-3-422-98650-3, Preis 18,- €,

Die Publikation wurde gefördert von der Rudolf-August Oetker-Stiftung, der Hans Purrmann Stiftung und der Kulturstiftung Speyer (aus Mitteln der Dr. Heinz Danner-Stiftung). Die Publikation kann im Purrmann-Haus Speyer (Vorbestellung auch gerne per Telefon 06232/142020 oder per E-Mail an: purrmann-haus-speyer(at)gmx.net) sowie im Buchhandel erworben werden.

Dasselbe gilt für den in zwei Bänden herausgegebenen Briefwechsel:

Sehnsucht nach dem Anderen - Eine Künstlerehe in Briefen 1909-1914

Sehnsucht nach dem Anderen. Eine Künstlerehe in Briefen 1909–1914. Hans Purrmann und Mathilde Vollmoeller-Purrmann, Hrsg. v. Felix Billeter und Maria Leitmeyer, 184 Seiten mit 50 farbigen Abbildungen, ISBN: 978-3-422-89286-6, Preis: 14,90 €

Stürmische Zeiten ‒ Eine Künstlerehe in Briefen

Stürmische Zeiten ‒ Eine Künstlerehe in Briefen 1915–1943. Hans Purrmann und Mathilde Vollmoeller-Purrmann, Hrsg. v. Felix Billeter und Maria Leitmeyer, 256 Seiten mit 50 farbigen Abbildungen, ISBN: 978-3-422-98242-0, Preis: 18 €