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Kunstgeschichte

Zwischen Triumph und Desaster

Max Beckmann: Selbstbildnis mit Sektglas, 1919, Öl auf Leinwand, 1919, 65,2 x 55,2 cm, Städel Museum Frankfurt a.M.
© CC BY-SA 4.0

Max Beckmann
Zwei Selbstbildnisse
Zwei Museumserwerbungen
– II –

Zwei bedeutende Selbstbildnisse von Max Beckmann haben vor Wochen ihre endgültige Bleibe in zwei öffentlichen Museen gefunden. Darüber ist ausgiebig berichtet worden. In diesem Blog ist dazu auch schon ein Beitrag mit Überlegungen zu den musealen Rahmenbedingungen der beiden Erwerbungen erschienen. Er findet sich hier.

Bemerkenswerte Zusammenhänge finden sich allerdings nicht nur im Hinblick auf den musealen Aspekt der Erwerbungen. Sie sind auch thematisch aufs Engste verbunden. Es handelt sich bei diesen beiden Gemälden von Max Beckmann um zwei herausragende Selbstbildnisse. Herausragend sind sie – neben ihrer künstlerischen Qualität allein schon deshalb, weil Beckmann seiner jeweiligen Lebenssituation in ihnen exemplarisch bildlichen Ausdruck gegeben hat.

Diese könnten kaum gegensätzlicher sein. Gleitet in der vergleichenden Betrachtung der beiden Selbstbilder der Blick vom Selbstbildnis Florenz aus dem Jahr 1907 zum Selbstbildnis mit Sektglas von 1919, dann offenbart sich darin drastisch Beckmanns abrupter Wandel seiner Lebenswirklichkeit vom Triumph zum Desaster.

Das erste Selbstbildnis malte Max Beckmann während seines halbjährigen Aufenthaltes als Stipendiat in der Villa Romana in Florenz. Frontal ausgerichtet, den betrachtenden Blick mit dem eigenen – leicht herablassend – direkt erwidernd, im schwarzen Anzug ein Mann von Welt, selbstgewiss und lässig mit der Zigarette in der Hand.

Max Beckmann: Selbstbildnis Florenz, 1907, Öl auf Leinwand, 98 x 90 cm, Hamburger Kunsthalle
Foto: Hamburger Kunsthalle, Elke Walford

Wie in diesem Selbstbildnis spricht sich in seiner Malerei und seinen überlieferten Äußerungen der Jahre vor dem Ersten Weltkrieg das unerschütterliche Selbstbewusstseins einer Künstlerpersönlichkeit aus, die von sich selbst überzeugt ist und die angemessene Anerkennung gefunden hat. Dieser Beckmann begibt sich im Herbst 1914 als freiwilliger Sanitätssoldat in den Krieg.

„Ich hoffe noch viel zu erleben und bin froh.“

Max Beckmann in einem Brief aus dem Feld an seine Frau Minna Tube, 14.09.1914

In seinen ersten Wochen erlebt er diesen Krieg noch in einem pathetischen Überschwang, der ihn in Briefen schreiben lässt von „verzauberten und glühenden Dingen“, vom „wunderbar großartigen Geräusch der Schlacht“. An dieser selbst nahm er aber nicht teil, er war als Sanitärsoldat hinter der Front stationiert. Er hofft auf reiche künstlerische Beute, gleichwohl spürt er die Ambivalenz dieser gesteigerten Erregung: „Für mich ist der Krieg ein Wunder, wenn auch ein ziemlich unbequemes. Hier kriegt meine Kunst zu fressen.“ (Brief an Minna Tube, 18.05.1915)

Doch schon bald hatte der Krieg ihm derart viel zu Fressen gegeben, dass sein Maul gestopft war und er den Fraß nicht mehr verdauen konnte. Im Juli 1915 folgte der Nervenzusammenbruch. Erschüttert und gebrochen beginnt der Kriegsversehrte als Maler noch einmal ganz von vorne. Zuerst versucht er, sich das Grauen der Kriegshölle von Leib und Seele zu malen.

Was diese aus ihm gemacht hat, offenbart ein Blick auf sein Selbstbildnis mit rotem Schal von 1917 und der Vergleich seiner Auferstehungsbilder. Die erste Auferstehung entstand davor, 1908–1909. Mit der zweiten Auferstehung, die er 1916 begonnen hat, ist er nie fertig geworden. (Alle drei Gemälde befinden sich heute in der Staatsgalerie Stuttgart.)

Von dieser Katastrophe ist das Selbstbildnis mit Sektglas ebenfalls noch vollständig durchdrungen. Wieder der Mann von Welt, im Anzug und mit Zigarre. Doch jetzt klemmt – offensichtlich um Jahre gealtert – der Herr im Anzug sitzend zwischen Stuhl und Tisch, eingezwängt und zusammengefaltet, verspannt, verkrampft, die Gesichtszüge entgleist – und noch konterkariert vom Durchblick auf eine hämische Fratze dahinter.

„In a while will the smile on my face turn to plaster, Stick around while the clown who is sick does the trick of disaster.”

Neil Young: Mister Soul, 1966

Champagnerflasche und das gefüllte überschäumende Glas scheinen von einem Anlass zum Feiern zu erzählen, doch welcher könnte das sein, angesichts der zynischen Verbitterung, die aus dem Bild spricht, außer jenem, schlicht überlebt zu haben.

Im Zuge der Regeneration gewinnt er wieder Kraft und Zutrauen, was wiederum schnell in künstlerischen Ambitionen und realisierten Werken zum Ausdruck kommt. Er entwickelt einen dynamisch vitalen Individualstil, in dem er bevorzugt komplexe erzählerische und symbolische Kompositionen gestaltet – so wie mit Vorliebe schon in seinem Frühwerk.

Ein Aspekt seines Werkes wird von nun an allerdings eine völlig andere Grundlage und Dringlichkeit haben: Der katastrophische Zug, der in den frühen Werken seinen thematischen Neigungen und Interessen entspricht ohne selbst in irgendeiner Weise davon betroffen zu sein, wird nun – und im Erleiden der späteren Grausamkeiten Nazi-Diktatur und Zweiter Weltkrieg – zum unmittelbaren Zeugnis der eigenen bedrohten Existenz. Sein individuelles Schicksal wird zum exemplarischen Ausdruck der Lebenswirklichkeit im katastrophischen 20. Jahrhundert.

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Museum

Zwischen Triumph und Desaster

Pressekonferenz zur Neuerwerbung
Foto: Städel Museum, Frankfurt am Main, Norbert Miguletz

Max Beckmann
Zwei Selbstbildnisse
Zwei Museumserwerbungen
– I –

Gute Nachrichten aus der Museumswelt kann es allein angesichts der verordneten Schließungen im Zuge der Pandemie-Bekämpfung zur Zeit kaum geben. Von laufenden Ausstellungen und ihren Besuchszahlen, die normalerweise die mediale Berichterstattung bestimmen, gibt es nichts zu vermelden. Umso erfreulicher, dass im Abstand von nur wenigen Wochen das Städel Museum in Frankfurt und die Hamburger Kunsthalle jeweils einen bedeutenden Zuwachs für ihre Sammlungen verkündet haben.

Erfreulich schon deshalb, weil so deutlich wird, dass hinter den Kulissen in den Museen nicht weniger los ist als zu Öffnungszeiten und weil der Fokus auf die Museumssammlungen selbst, auf die zentralen musealen Aufgaben des Sammelns, Bewahrens und Erforschens der Kunstwerke gelegt wird – ohne die wiederum keine vernünftige Ausstellung zu denken ist.

Bemerkenswert an den aktuellen Meldungen sind die Gemeinsamkeiten und die Beziehungen zwischen den Werken und den Umständen, unter denen diese nun endgültig in die öffentlichen Museen aufgenommen werden konnten.

Beide Gemälde sind von Max Beckmann. Der 1884 in Leipzig geborene und 1950 im Alter von 66 in New York gestorbene Maler, Zeichner und Grafiker gehört zu den großen singulären Gestalten der Kunst des 20. Jahrhunderts. Die meisten seiner wichtigen Werke haben Eingang in die großen Museen Europas und der USA gefunden. Nicht viele davon sind noch in Privatbesitz.

Bei den Erwerbungen beider Museen handelt es sich um Selbstbildnisse des Künstlers. In der Reihenfolge der Neuerwerbungen: Das Selbstbildnis mit Sektglas von 1919 für das Städel in Frankfurt und das Selbstbildnis Florenz von 1907 für die Hamburger Kunsthalle.

Beckmann gehört zu den Künstlerinnen und Künstlern, für die die Selbstbefragung im Medium der eigenen Malerei herausragende Bedeutung hat. Entsprechend wichtig und begehrt sind seine Selbstbildnisse. Entsprechend teuer sind sie am Kunstmarkt. (Zwei prominente Beispiele sind: Selbstbildnis mit Glaskugel von 1936, im Jahr 2005 für € 13 Mio. € ($ 16.8 Mio.) und Selbstbildnis mit Horn von 1938, im Jahr 2014 für € 25,3 Mio. ($ 22,6 Mio.) versteigert, jeweils bei Sotheby’s).

Entsprechend schwer ist es, eines für ein öffentliches Museum zu gewinnen. Wie schwer, das zeigen weitere Gemeinsamkeiten der Umstände, die diese Erwerbungen erst möglich gemacht haben:

Beide Museen verfügen über einen bedeutenden Bestand an Werken von Max Beckmann, in den sich diese Gemälde inhaltlich bestens einfügen. Beiden Häusern waren die Selbstbildnisse schon seit vielen Jahren als Dauerleihgaben zur Verfügung gestellt und so auch der Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden – im Städel seit 2011, in der Hamburger Kunsthalle sogar seit 1991.

Dieser Umstand und die daraus erwachsene Verbindung sowohl der Werke als auch ihrer Eigentümer*innen zum jeweiligen Museum und seinen Verantwortlichen war eine der wesentlichen Voraussetzungen für den Erwerb. Denn die Museen verfügen nicht über die finanziellen Mittel, Werke dieser Art am Kunstmarkt zu erwerben.

Das wurde auch eigens thematisiert: Beide Häuser haben in Ihren Verlautbarungen betont, dass die Eigentümer*innen ihnen beim Verkaufspreis außerordentlich entgegengekommen sind. Am freien Markt würde der Preis für die Werke im zweistelligen Millionenbereich liegen. Im Städel, das sich nicht zum Ankaufspreis äußerte, hieß es nur, er liege „deutlich unter“ dem zu erwartenden Marktpreis, in Hamburg wurden € 4 Mio. als Ankaufspreis genannt.

Trotz des Entgegenkommens waren beide Museen darauf angewiesen, für den Ankauf von verschiedenen Seiten Förderung zu erhalten. Zum Frankfurter Ankauf trugen bei: die Bundesregierung, die Ernst von Siemens Kunststiftung, der Städelsche Museums-Verein e.V., die aufgrund ihrer Beteiligung am Ankauf zu Miteigentümern wurden, sowie die Kulturstiftung der Länder und fünf private Spender.

„Ich bin sehr dankbar für diesen großen Zusammenhalt und die Zuversicht aller Beteiligten. Nur dieses – für Frankfurt so typische – gemeinschaftliche Engagement hat es möglich gemacht, dass dieses Meisterwerk nun für immer dort bleiben kann, wo es auch entstanden ist.“

Philipp Demandt, Direktor des Städel Museums

In Hamburg beteiligten sich die Stiftung Hamburger Kunstsammlungen und ebenfalls die Ernst von Siemens Kunststiftung am Erwerb, sind hier ebenfalls Miteigentümer. Unterstützt wurden sie von der Campe’schen Historischen Kunststiftung, der Kulturstiftung der Länder und der Hermann Reemtsma Stiftung.

Schließlich ist dieser Ankauf für beide Museen die jeweils teuerste Erwerbung, die sie überhaupt gemacht haben. Was noch einmal die bescheidenen Möglichkeiten der öffentlichen Museen in Deutschland verdeutlicht. Trotz ihres für deutsche Verhältnisse enormen Preises sind die Werke von Max Beckmann im internationalen Vergleich und im Verhältnis zu seiner kunsthistorischen Bedeutung geradezu günstig (man schaue sich zum Vergleich eines der aktuellen Rankings der teuersten Werke der Welt an).

Max Beckmann: Selbstbildnis Florenz, 1907, im Teppenhaus der Hamburger Kunsthalle
Foto: Hamburger Kunsthalle, Sinje Hasheider

Die Parallelität der Umstände, Ereignisse und Wege zum Erwerb dieser beiden Kunstwerke für öffentliche Museen steht also ebenso exemplarisch für deren finanzielle Situation und ihre völlig unzureichenden Ankaufsetats wie für die daraus erwachsene Förderkultur, in der die verschiedenen politischen Ebenen (Bund und Länder, Kommunen, öffentliche Körperschaften) mit öffentlichen und privaten Stiftungen (die sich entweder allgemein die Kulturförderung zur Aufgabe gesetzt haben oder sogar spezifisch die Förderung bestimmter Museen), mit den Fördervereinen der einzelnen Museen,  und schließlich engagierten Privatpersonen zusammenfinden, um es überhaupt möglich zu machen, wertvolle Kulturgüter für die Öffentlichkeit zu erhalten oder zu gewinnen.

„Das ist eine der bedeutendsten Anschaffungen für die Sammlung und ein spektakulärer Coup für die Hansestadt.“

Alexander Klar, Direktor der Hamburger Kunsthalle

Dass es häufig so gut funktioniert wie hier, ist wichtig und von großer Bedeutung für die Museen und für die gesamte Gesellschaft. Allerdings birgt gerade der Erfolg die Gefahr, dass an der strukturell ungenügende Situation der öffentlichen Kulturinstitutionen in Deutschland nichts geändert wird.

Beide Museen würdigen nun das Werk von Max Beckmann und diese Neuerwerbungen in gewichtigen Ausstellungen. Das Städel Museum zeigt mit Städels Beckmann – Beckmanns Städel. Die Frankfurter Jahre die enge Verbindung zwischen Beckmann und Frankfurt auf, wo er lange Jahre lebte, lehrte und bedeutende Werke wie das Selbstbildnis mit Sektglas schuf. (Bis 6. Juni 2021 – verlängert!)

Die Hamburger Kunsthalle widmet ihre Ausstellung Max Beckmann. weiblich – männlich den Vorstellungen von Weiblichkeit und Männlichkeit, die in seinem Bildkosmos zum Ausdruck kommen. Es handelt sich in der Tat um ein zentrales Thema in seinem Gesamtwerk. (Bis 14. März 2021)