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Ausstellung Kunstgeschichte

Gibt es einen Impressionismus in Holland?

Ferdinand Hart Nibbrig: In den Dünen von Zandvoort, 1891/92, Singer Laren, Schenkung P. J. Hart Nibbrig 1981
© Abb. aus dem Katalog zur Ausstellung

Zur Ausstellung Wolken und Licht. Impressionismus in Holland im Museum Barberini in Potsdam

Zwei Frauen sitzen in grasbewachsenen Dünen unweit vom Strand, eine weiß, eine dunkel gekleidet, der ebenfalls weiße Sonnenschirm, diagonal gegen die milde Nachmittagssonne gestellt, hüllt beide in einen lichten Schatten, fern dahinter der silberblaue Himmel. In diesem Gemälde mit dem Titel In den Dünen von Zandvoort (1891/92) von Ferdinand Hart Nibbrig (1866–1915) lassen sich geradezu idealtypisch charakteristische Eigenschaften der impressionistischen Malerei finden, wie sie sich seit den 1870er Jahren von Frankreich aus über ganz Europa verbreitet hat.

Mit der Ausstellung Wolken und Licht. Impressionismus in Holland setzt das Museum Barberini seine Erkundungen zur Malerei des Impressionismus in unterschiedlichen Ländern und Gegenden fort.

Für dieses Unterfangen ist eine bemerkenswerte Zusammenstellung von Gemälden zustande gekommen, die über das im Titel angesprochene Thema hinaus Anliegen hinaus geeignet ist, einen spannenden Überblick zur niederländischen Malerei zwischen 1850 und 1920 zu bekommen. Allein dies ist ein grundlegendes Verdienst dieser Ausstellung.

Mindestens so spannend ist die Beantwortung der Frage, ob es einen Impressionismus als einem seinerzeit verbreiteten künstlerischen Anliegen und daraus resultierend als greifbare kunsthistorische Strömung in Holland bzw. den Niederlanden gegeben habe. Was im Titel der Schau zwangsläufig als gegeben behauptet, oder zumindest unterstellt wird, stellt sich bei näherer Betrachtung der Werke und bei der Lektüre des Katalogs keineswegs als eindeutig heraus.

Die Ausstellung zeigt: Ja, es gab Künstler und Künstlerinnen, die impressionistisch gemalt haben, wenn man begrifflich damit bestimmte stilistische und ästhetische Eigenschaften der Malerei bezeichnet, die sich in Frankreich seit dem Beginn der 1870er Jahre ausgebildet haben. Hier wäre allen voran etwa Jacob Maris (1837–1899), Evert Pieters (1856–1932), Isaac Israels (1865–1934), Ferdinand Hart Nibbrig (1866–1915) oder etwas später die Malerin Mies Elout-Drabbe (1875–1956) zu nennen, deren Malerei den ursprünglichen impressionistischen Prinzipien, wie sie insbesondere von Claude Monet, Camille Pissarro, Berthe Morisot oder Alfred Sisley etabliert wurden, zeitweise am nächsten kommt.

Hart Nibbrigs Gemälde In den Dünen von Zandvoort steht dafür exemplarisch und ist daher sicher auch als Plakatbild der Ausstellung und Titelmotiv des Katalogs ausgewählt worden.

Im Katalog, dessen Beiträge ich für diese Ausstellungsbesprechung noch nicht gelesen habe, wird sicher für die Beantwortung der Frage, inwieweit in der niederländischen Malerei der Zeit ein Impressionismus festgestellt werden kann, auch die zeitgenössische Rezeption bei Kunstkritik und Publikum einbezogen.

Doch wie sich auch immer die Existenz eines Impressionismus in den Niederlanden generell darstellt: Die versammelten Werke der Schau demonstrieren vielmehr wie widerständig die niederländische Malerei insgesamt gegen den Impressionismus gewesen ist, wie eigenständig sie angesichts der ganz Europa erfassenden dynamischen Ausbreitung des Impressionismus blieb. Sie ließ sich davon nicht derart fortreißen wie die Malerei in anderen Weltgegenden.

Schwerer wog offensichtlich das Bewusstsein für die eigene Tradition der langen und bedeutenden Geschichte der Niederländischen Schule (um die zeitgenössische Begrifflichkeit aufzunehmen) und deren Auffassung in der malerischen Erfassung von Landschaft und zeitgenössischem Leben.

Zu dieser gehörte immer auch die metaphysische Dimension. Sie spielte im französischen Impressionismus keine Rolle, aber von der altniederländischen Malerei über das Goldene Zeitalter im 17. Jahrhundert bis zum Symbolismus um 1900 und darüber hinaus ist sie für die Kunst in diesem Landstrich wesentlich.

Daher ist auch im historischen Rückblick leicht nachvollziehbar, dass der Pointillismus (so der Begriff, der in der Ausstellung verwendet wird, andere bevorzugen den gleichberechtigten Begriff Divisionismus, so auch ich), zeitlich und stilistisch deutlich unmittelbarer in die zeitgenössische niederländische Malerei eindrang als der eigentliche Impressionismus.

In den Niederlanden ging erst mit diesem post-impressionistischen Verfahren des Farbauftrags die systematische Aufhellung der Palette und die stärkere Leuchtkraft der Farben einher. Zu sehen besonders beim schon genannten Ferdinand Hart-Nibbrig, bei Hendricus Bremmer (1871–1956), Johan Joseph Aarts (1871–1934) oder Jan Toorop (1858–1928).

Die malerischen Ergebnisse stehen — wie schon die divisionistischen Gemälde von Georges Seurat in Frankreich — dem vorausgegangenen Impressionismus diametral entgegen. Nicht Augenblick und Atmosphäre charakterisieren Erscheinung und Wirkung der Bilder, sondern erstarrende Formen und Farbkalkül, ja Farbkalkulation, was sich unter anderem an der einheitlichen Farbgebung unterschiedlicher Motive zeigt. Es handelt sich also um eine Methode, die sich antithetisch zu der von Claude Monet verhält, der dieselben Motive mit den unterschiedlichsten Farben und zunehmender malerischer Freiheit wiederholte. Solche Formauflösung im freien Spiel von Farbe und Faktur, das war der Niederländer Sache offenbar nicht.

In seiner Eröffnungsrede verwies seine Exzellenz, der niederländische Botschafter und Schirmherr der Ausstellung, S. E. Ronald van Roeden, darauf, dass Alltagserfahrung und Landschaftserleben wesentlich von der Allgegenwärtigkeit von „Plassen“ durchdrungen seien. Plassen bezeichnet jedwede Form von Wasseransammlungen, die sich irgendwo ausbreiten — und in den Niederlanden, wie er anmerkte, eben überall. Von Pfützen, über Tümpeln und Teiche bis zu den Seen und dem Meer. Und in all diesen flüssigen Plassen spiegelt sich der weite und hohe Himmel in all seinem steten Wandlungen der Erscheinung, dem flüchtigen Wechsel von Sonne und Wolken, von Klarheit und Dunst. So eignen sich Plassen und Himmel als Schlüssel für das Selbstverständnis der Niederlande und  das Wesen der niederländischen Landschaftskunst.

Jacob Maris: Salatgärten bei Den Haag, um 1878, Kunstmuseum Den Haag
© Abb. aus dem Katalog zur Ausstellung

So faszinierend und erhebend die ästhetische Erfahrung von Plassen und Himmel sein mag, in ihrer realen Präsenz offenbaren sich zugleich jene Kräfte der Natur, die das kleine, flache und tiefgelegene Land zugleich existenziell bedrohen. Ohne handfeste Gegenmaßnahmen gäbe es dieses Land gar nicht mehr.

Vielleicht ist es aus diesem Grund also gerade die Allgegenwart des Flüssigen und Flüchtigen, dass die niederländische Kunst sich nicht den entgrenzenden und formauflösenden Strömen der impressionistischen Augenblickskunst hingibt, sondern durch ein bemerkenswert konstantes Streben nach Innehalten und Festigkeit charakterisiert ist.

Dasselbe Streben findet sich auch in den Figurenbildern der Ausstellung, die größtenteils dem menschlichen Leben in städtischen Milieus gewidmet sind. Die manifeste Statik in den Figurenbildern fällt besonders dort ins Auge, wo vom Motiv her eine deutlich bewegtere Bildwirkung zu erwarten wäre, etwa in Breitners Die Singelbrücke bei der Paleistraat in Amsterdam (1898), oder noch mehr in Schlittschuhlaufen (1891) von Willem Bastiaan Thoolen (1860–1931).

Der Bogen des Themas wird in der Ausstellung von hier aus weiter gespannt über die Jahrhundertwende hinaus bis zur Auseinandersetzung mit dem Kubismus und der Abstraktion. Demonstriert an herausragenden Werkbeispielen von Jan Sluiters (1881–1957), Jacoba van Heemskerck (1876–1923) und Piet Mondrian (1872–1944). Diese Werke gehören, wie die weiteren im letzten thematischen Block der Ausstellung, allesamt einer Zeit an, in der schon ein völlig anderer Wind wehte. Die revolutionären Bewegungen der Avantgarden Anfang des 20. Jahrhunderts hatten den Impressionismus schon längst hinter sich gelassen hatten und verdrängt — und in den Niederlanden entfalteten diese eine deutlich größere Wirkungsmacht als der Impressionismus je zuvor.

In der Zusammenschau belegen die Werke der Ausstellung, die nach 1880 entstanden sind, also weniger die Existenz eines Impressionismus als Haltung und Stil in den Niederlanden als vielmehr den Umstand, welch durchschlagende Wucht die impressionistische Bewegung als Revolution für das Medium der Malerei als solche hatte: die Befreiung von Farbe und Faktur aus dem Korsett der gegenständlichen Repräsentation, der konsequente Einsatz der malerischen Mittel, fokussiert auf ihren Eigenwert und ihre Wirkungsmacht. Das war die tiefgreifende strukturelle Revolution im Umgang mit den künstlerischen Mitteln, die zur Grundlage wurde aller folgenden avantgardistischen Bewegungen der Malerei in Europa, so auch in den Niederlanden.

Damit lässt sich im Rückblick feststellen, dass die niederländische Malerei der Zeit eher jenseits des Impressionismus, an ihm vorbei, in die Avantgarde eintritt und selbst ein maßgeblicher Teil davon wird — beispielhaft mit dem Symbolismus um 1900, mit der Abstraktion von Heemskerck und Mondrian sowie der Gründung von De Stijl.

Unabhängig von der Frage nach dem titelgebenden „Impressionismus in Holland“ ist es ein großes Verdienst des Museums Barberini und aller beteiligten Partner, mit dieser Ausstellung überhaupt einmal solch einen umfassenden Überblick über die Geschichte der niederländischen Malerei von der Mitte des 19. Jahrhunderts bis 1920 zu bieten, und damit aufzuzeigen, was hier vor und neben den legendären Größen von Vincent van Gogh und Piet Mondrian, an hervorragender Malerei entstanden ist.

Sie stellt diese singulären Gestalten damit in ihren kunsthistorischen Kontext, beleuchtet ihre künstlerische Herkunft und Genese im zeitgenössischen Umfeld. Figuren wie Johan Barthold Jongkind (1819—1891), Anton Mauve (1838—1888), oder der erwähnte Breitner, an denen sich viele andere niederländische Künstlerinnen und Künstler orientierten, werden in ihrer jeweiligen Eigenart ein Stück weit fassbar. Und die Zusammenschau der Werke vermittelt einen lebendigen Eindruck von der Qualität und den charakteristischen Besonderheiten der niederländischen Malerei der Epoche.

Dass das Museum Barberini für diese Ausstellung die Frage nach dem Impressionismus in Holland in den Mittelpunkt gestellt hat, und damit auch in den Titel gesetzt, ist mit Blick auf sein Selbstverständnis als ein Museum des Impressionismus vollkommen schlüssig. Und aufgrund seiner Beliebtheit beim Publikum ist der Impressionismus ohne Frage auch als Köder für diese Ausstellung bestens geeignet.

Die Ausstellung Wolken und Licht. Impressionismus in Holland im Museum Barberini in Potsdam geht noch bis zum 22.Oktober 2023.

Webseite: https://www.museum-barberini.de/de/ausstellungen/9498/wolken-und-licht-impressionismus-in-holland

Wolken und Licht. Impressionismus in Holland.

Hrsg. v. Ortrud Westheider, Michael Philipp, Daniel Zamanie. Potsdam: Museum Barberini, und München/London/New York: Prestel/Random House, 2023, 312 Seiten
ISBN 978-3-7913-7998-2 (Buchhandelsausgabe

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Buchvorstellung Kunstgeschichte

Carl Schuch – Malerei als Erkenntnisinstrument

Carl Schuch Stillleben
Carl Schuch: Stillleben mit Porree, Zwiebeln und Käse, um 1885/86
Öl auf Leinwand, 64,7 x 81,2 cm, Sammlung Andreas Gerritzen

Neuer Beitrag zu Werken des Malers in einer Privatsammlung

In diesen Tagen ist im Verlag der Kunsthandlung J. P. Schneider in Frankfurt die Dokumentation einer privaten Kunstsammlung erschienen.

Unter dem Titel Leben mit Kunst – die Sammlung Andreas Gerritzen präsentiert der aufwändig gestaltete Band vollständig den Bestand der Kunstwerke und Naturalia, die der Sammler Andreas Gerritzen in den letzten 25 Jahren zusammengetragen hat. Schwerpunkte der Sammlung bilden Landschaftsmalerei und Stillleben vom 19. Jahrhundert bis zur Gegenwart. Dazu gehören Werke der Maler der Worpsweder Künstlerkolonie, insbesondere von Otto Modersohn, sowie der Freilichtmalerei in Frankreich, Deutschland und Italien seit der Schule von Barbizon.

Carl Schuch nimmt in der Sammlung einen besonderen Stellenwert ein. Gerritzen konnte bis jetzt neun Gemälde in seiner Sammlung vereinen, darunter fünf Landschaften, drei Stillleben und ein Interieur.

Mein Beitrag „Carl Schuch – Malerei als Erkenntnisinstrument“, abgedruckt auf den Seiten 194–217, behandelt diese Gemälde ausführlich im Kontext des Gesamtwerks von Carl Schuch, das in der Malerei weit mehr sieht als ein Mittel zur Wiedergabe des Gesehenen, zur Darstellung der Welt oder der von ihr empfangenen Sinnenreize und Empfindungen. Schuch geht es um eine nahezu systematische Erkundung der Möglichkeiten der Neuschöpfung und Gestaltung der Welt als Malerei, generiert allein aus den ihr eigenen Mitteln.

Dazu seien hier beispielhaft ein eine Selbstäußerung von Carl Schuch und ein Abschnitt aus dem Beitrag zitiert:

Ich lebe jetzt nur noch in Vorbereitung für Landschaft, studiere und probiere meine neue Palette, die die farbigste ist, die denkbar. Aber um solches Roß zu reiten, muß man festsitzen und es kennen. Ich werde heuer viele kleine Farbenskizzen malen und meine Palette anwenden lernen. Die Landschaft hat den großen Vorteil, daß uns das peinliche Ausführen, das beim Stilleben so wichtig ist, nicht hindert, besonders bei großen Bildern, die halb vollendet aussehen.

Das einzig Auszuführende ist mir in der Landschaft die Farbe […].

Meine guten paar Arbeiten sind auch wie zufällig entstanden und ich habe erst später begriffen warum. Wenn meine großen Stilleben, die noch weit zum Fertigsein haben – nie fertig würden, ich wäre ihnen doch sehr verpflichtet. Ich habe durch sie viel gelernt. Hoffentlich mit den neuen Aufgaben, die die Natur mir nach einjähriger Enthaltsamkeit stellt, finde ich neue Resultate oder wenigstens löse ich die alten oft versuchten Aufgaben. Das Interieur von Birken zum Beispiel, die Eichen ohne sie schwarz zu malen, graue Luft ohne kalkig und farblos nüchtern zu werden, Sonnenschein ohne Buntheit und grelle Dissonanzen usw. Ich sehne mich nach solchen farbigen Rechenexempeln und denke immer an Landschaft.

Brief vom 30. März 1880, zit. nach Karl Hagemeister: Karl Schuch. Sein Leben und seine Werke, Berlin 1913, S. 104–106.

Stillleben als Experimentierfeld

In den Wintermonaten der Pariser Jahre 1882 bis 1894 weilte Schuch in der Stadt und setzte sein malerisches Forschen fort – in der theoretischen Reflexion wie in der Praxis. Er notierte und analysierte Farbsysteme und die Zusammensetzungen der Paletten von alten Meistern wie Tizian (um 1488/90–1576) und Rembrandt bis zu den bereits genannten älteren und jüngeren Zeitgenossen. Ihm ging es um die Erweiterung seiner Kenntnis der malerischen Mittel. Denkend und malend studierte er unablässig die Anwendung der Farbe im Bild, stets in Verbindung mit dem Licht und dem Aspekt der bildnerischen Komposition, in der sie zur Geltung kommen sollte. In Notizheften hielt er seine Überlegungen dazu fest.

Wie in Venedig führte Schuch seine malerischen Experimente in Paris im Stillleben weiter. Die Ambitionen im Hinblick auf das große Format und die gegenständliche Fülle, die ihn in Venedig angetrieben hatten, gab Schuch hier auf zugunsten schlichterer Kompositionen. Er arbeitete nun mit motivischen Reihen zum Erkunden des malerischen Potenzials einer gewählten Konstellation an Objekten im Raum und ihrer Erscheinung in Farbe und Licht. In seinen Notizheften vermerkte er akribisch die jeweils verwendeten Pigmente und die Farbzusammenstellungen auf der Palette. Diese systematisch verändernd untersuchte er in Kompositionen mit denselben Motiven die Wirkungen der Farbgebung, der Töne und des Lichts im Sinne eines malerischen Erkenntnisstrebens. Mit den Augen und dem Pinsel in der Hand forschend und experimentierend praktizierte Schuch Malerei als Erkenntnisinstrument.

Cover Buch Leben mit Kunst. Die Sammlung Andreas Gerritzen
Verlag J. P. Schneider Frankfurt am Main
Leben mit Kunst –
die Sammlung
Andreas Gerritzen

Gebundene Luxusausgabe, 440 Seiten mit über 200 Farbabbildungen und einem detaillierten Werkverzeichnis. Frankfurt am Main: Verlag J. P. Schneider 2023. – Preis € 120,-

Einblicke ins Buch gibt es auf der Seite des Verlags.