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Wissen was Weltkunst ist

– III –

Links: Otto Dix: Selbstbildnis mit Artilleriehelm, 1914, Öl auf Papier, 68 x 53 cm, Kunstmuseum Stuttgart
Rechts: Fritz Steisslinger: Selbstportrait, 1916, Öl/Lwd., 41,2 x 33,7 cm, Nachlass Fritz Steisslinger, Böblingen
Zu den vorhergehenden Teilen geht es hier: 
Wissen was Weltkunst ist, Teil 1: Expressionismus im Dritten Reich
Wissen was Weltkunst ist, Teil 2: Maria Caspar-Filser und Gabriele Münter

Von Künstlern im Krieg

oder vom Sieg des Extremismus über den Humanismus in der Kunst

Otto Dix wurde 1891 in Gera geboren. Er hatte schon früh ein ausgeprägtes Selbstbewusstsein – legendär sein Spruch: „Entweder ich werde berühmt oder berüchtigt.“ – Ihm ist im Laufe seiner Karriere beides gelungen.

Dix wurde im August 1914, kurz nach Beginn des Ersten Weltkriegs, als Ersatzreservist eingezogen, war aber erst ab Herbst 1915 an verschiedenen Fronten im Einsatz. Er bewies sich im Kampfgeschehen als überaus robust, erhielt 1915 das Eiserne Kreuz II. Klasse und wurde als Vizefeldwebel aus dem Krieg entlassen.

Für Dix war die Teilnahme am Krieg – wie für Max Beckmann – weniger eine patriotische Pflicht. Er verstand sie, wie er später rückblickend darlegte – vielmehr als Verpflichtung seiner Kunst gegenüber: als Herausforderung, die Welt und das Leben mit all seiner Gewalt und seinen Abgründen als Ganzes zu erleben und zu erfassen, und er versprach sich davon Impulse für die Entwicklung seiner Kunst und seiner Ausdrucksmittel. In einem späten Interview sagte er dazu:

„Der Krieg war eine scheußliche Sache, aber trotzdem etwas Gewaltiges. Das durfte ich auf keinen Fall versäumen. Man muß den Menschen in diesem entfesselten Zustand gesehen haben, um etwas über den Menschen zu wissen […] Alles muß ich sehen. Alle Untiefen des Lebens muß ich selbst erleben, deswegen gehe ich in den Krieg, und deswegen habe ich mich überhaupt freiwillig gemeldet.“

Otto Dix, Gespräch mit Freunden am Bodensee, Dezember 1963, zit. n. Diether Schmidt: Otto Dix im Selbstbildnis, Berlin (Ost) 1978, S. 237

Die Erfahrung des Krieges verarbeitet Dix unmittelbar in seinem Werk. Stilistisch dem Expressionismus folgend, präsentiert er sich in seinem Selbstbildnis mit Artilleriehelm als eine zeitgenössische Version des Mannes mit dem Goldhelm von Rembrandt bzw. aus dessen Umkreis. Hier wie dort dominiert ein plastisch dekorierter Helm ein darunter zurücktretendes Gesicht – hier statt des alten Mannes ein Jüngling mit skeptisch fragendem Blick, steif und unsicher in der Haltung.

Die Spannung zwischen der Zurückhaltung im Habitus und der glühenden Farbigkeit mag das Schwanken des Künstlers zwischen seinem selbstgewissem individuellen Erlebenshunger und dem Unwohlsein angesichts der Unterwerfung unter ein ihm fremdes Regiment zum Ausdruck bringen – er ist hier offensichtlich nicht allein, sondern steht in einer Reihe mit anderen Soldaten.

Dieses Selbstbildnis stammt aus der Zeit des Beginns seines Militärdienstes. Einen Eindruck davon, wie es dem Künstler mit dem Krieg ergehen sollte, erhält man, wenn man das Bild umdreht und die Rückseite anschaut:

Links: Selbstbildnis mit Artilleriehelm, 1914, Öl auf Papier, 68 x 53 cm, Kunstmuseum Stuttgart, recto
Rechts: Selbstbildnis als Soldat, 1914, Öl auf Papier, 68 x 53 cm, Kunstmuseum Stuttgart, verso

Von blutroten Farbfetzen umschwirrt, den Helm abgeworfen, ohne Haare, den kahlen Schädel mit dem wulstigen Gesicht vorgestreckt, begegnet uns eine ungestüme und rohe Gestalt – des Menschlichen völlig entledigt, ein offenbar in die Enge getriebenes wildes Tier, schwankend zwischen Angst und Aggression – bedrängend selbst die wie ein Brandmal gesetzte riesige Signatur im Nacken des Künstlers. –

Insgesamt ein getreues und daher erschreckendes Abbild der Brutalität und Grausamkeit des Krieges – jenes von Dix benannten „entfesselten Zustands“, der offensichtlich die dünne Haut der Zivilisation vom animalischen Leib des Menschen gezogen hatte.

Mit den Worten von Siegmund Freud, der bis dahin dem Prozess der Zivilisation optimistisch gegenüber stand, damals wählte, um den Eindruck zu beschreiben: Die Menschen seien wohl doch

„nicht so tief gesunken, wie wir fürchteten, weil sie gar nicht so hoch gestiegen waren, wie wir von ihnen glaubten.“

Siegmund Freud: Zeitgemäßes über Krieg und Tod, 1915.

Der Zerstörungstrieb, der im Chaos endet, ist überall am Werk. Er ist zugleich ein Signum der Epoche. Diese im eigenen Erleben vollständig zu erfassen, war das Ziel von Dix – und während seiner Kriegsjahre versuchte er unablässig eine bildnerische Sprache dafür zu finden. Etwa 600 Zeichnungen sind aus knapp drei Kriegsjahren überliefert. Darunter eine größere Zahl gemalter Deckfarbenbilder.

Oben links: Otto Dix: Sterbender Krieger, Gouache, 1915 – rechts: Leuchtkugeln, Gouache, 1917
Unten links: Schützengraben, Gouache, 1917 – rechts: Krieger mit Pfeife, Goouache, 1918

Im Überblick lassen sich nur wenige davon als Antikriegs-Bilder erkennen. Es scheint vielmehr so, als gebe sich Dix – ganz im Sinne seines Vorhabens – mit offenen Sinnen dem Erleben als solches hin – ohne Vorbehalt und Vorurteil – aber voller Spannung und Erregung – und diese schlägt sich unmittelbar in all seinen Blättern aus der Zeit nieder.

Die Ereignisse des Krieges ließen Dix auch nach dessen Ende lange nicht los. Im Jahr 1924 veröffentlicht er eine Folge von Radierungen mit dem Titel Der Krieg, in der er seine Erlebnisse noch einmal ausführlich verarbeitet:

Otto Dix: Der Sturmtrupp geht unter Gas vor, aus der Grafikfolge der Krieg, 1924

Die Blätter unterscheiden sich thematisch und formal deutlich von seinen Zeichnungen aus den Kriegsjahren. Für die Zeichnungen wählt er eher allgemeine Titel, wie Soldat, Volltreffer, Handgemenge, und konzentriert sich auf exemplarische Momente des Phänomens Krieg als solchem – er sieht im Besonderen Moment das Allgemein Charakteristische – und dies hilft ihm offensichtlich angesichts des Geschehens innere Distanz zu wahren.

In den Radierblättern hingegen springt einen das Einzelne, das Faktische an – sie sind dem individuellen Grauen im Kriegsgemenge viel näher, hier finden sich zerfetzte Leichen oder wurmzerfressene Kadaver – es scheint, als habe dieses in Dix nachgewirkt und er dafür erst nach längerer Zeit eine Ausdrucksform gewonnen.

Mit der Wahl seiner Motive und Formensprache schafft Dix das zeitgenössische Pendant zu den Radierfolgen mit Schrecken des Krieges von Jacques Callot aus dem Dreißigjährigen Krieg und den einhundert Jahre zuvor geschaffenen Desastres de la Guerra von Francisco Goya – womit über die biographische Stellung des individuellen Werkes hinaus explizit die historische und die kunsthistorische Dimension in die Folge einbezogen wird. Dix weist im Rückblick auf seine entscheidende Erkenntnis hin:

„Goya, Callot, noch früher Urs Graf, von ihnen habe ich mir Blätter in Basel zeigen lassen – das ist großartig… wie sich die Materie Mensch auf dämonische Weise verändert.“

Hans Kinkel: Vierzehn Berichte. Begegnungen mit Malern und Bildhauern, Stuttgart 1967, S. 75

Dix ist einer der wenigen Künstler, die auch noch Jahre später die elenden Folgen des Krieges für die kriegsversehrten Soldaten während der Weimarer Republik, am Anfang der sogenannten Goldenen Zwanziger Jahre drastisch thematisierte.

Links: Otto Dix: Prager Straße, 1920, Öl/Lwd., 101 x 81 cm, Kunstmuseum Stuttgart
Rechts: Otto Dix: Der Streichholzhändler, 1920, 141,5 x 166 cm, Staatsgalerie Stuttgart

Mit der Radierfolge Der Krieg und den versehrten Kriegsveteranen wird Dix zu dem Antikriegskünstler, als der er in der Folgezeit wahrgenommen wurde, der er aber in seinen Zeichnungen aus Kriegstagen noch längst nicht war.

Man muß den Menschen in diesem entfesselten Zustand gesehen haben, um etwas über den Menschen zu wissen…

Interview mit Otto Dix, „Über Kunst, Religion und Krieg“, Dezember 1963

Dix gilt heute als bedeutendster Künstler zum Thema des Ersten Weltkriegs, was sowohl die Menge der Werke als auch ihre Themen und Ausdrucksmittel betrifft. Ein immenses Werk, unmittelbar, drastisch, erschreckend, grausam – ganz so wie der Krieg selbst für die Teilnehmer war.

Auf den Punkt gebracht könnte man sagen: Er schuf eine extreme Kunst für ein extremes Zeitalter. In beiden scheiterte die Humanität bzw. sie wurde zur Strecke gebracht. Dass er diesen Umstand so rücksichts- und schonungslos in immer neuen Variationen ausbreitet, sieht Dix selbst als sein besonderes Verdienst und gilt als herausragendes Charakteristikum seiner Kunst und macht daher in der Tat seinen historischen Rang aus.

Eine völlig andere Haltung in diesen Dingen nimmt der im selben Jahr 1891 wie Dix geborene Fritz Steisslinger mit seinem Denken und seinem Werk ein. (Ausführliche Informationen zu Leben und Werk finden sich auf www.fritz-steisslinger.de.)

Steisslinger hatte sich freiwillig zum Kriegsdienst gemeldet. Er kehrte dazu eigens aus Venedig zurück, wo er bis dahin lebte und wirkte. Er diente als Artillerist, Beobachter, Melder und Batterieführer, 1915 an der Ostfront, ab 1916 Westfront und wurde mehrmals schwer verwundet – erfuhr nach anfänglichem Optimismus die Grauen des Krieges, dieser sei:

„schrecklich […], blutig, grausam“, aber: „Am meisten ist er doch erbärmlich. Und darum eben grausig, grausig […] ein einziger Friedhof, scheußliche Katakombe. Eine Wollust des Ekels.“

Fritz Steisslinger ist – soweit bekannt – der einzige Künstler, von dem nachweislich Ölbilder aus den Quartieren und Unterständen vor Ort erhalten sind. Es handelt sich um kleine Ölstudien und Skizzen.

Links: Fritz Steisslinger: Zwei Soldaten am Ausgang eines Unterstands, um 1916/17, Öl/Lwd., 26,5 x 14,5 cm
Mitte: Zwei Kameraden am Tisch, um 1916/17, Öl /Lwd., 10,3 x 10,4 cm
und: Zwei Kameraden am Tisch, um 1916/17, Öl/Lwd., 15 x 12 cm
Rechts: Fritz Steisslinger malt im Unterstand umringt von Kameraden, 1916, Fotografie

Über das Malen im Krieg sinniert Steisslinger in seinem Tagebuch am 5. März 1916:

„Den Tag war’s ruhig. Ich habe eine Skizze vom Unterstand gemacht, Bausch und Möbius als dekorierende Kanoniere.“

Fritz Steisslinger: Kriegstagebuch, Nachlassverwaltung Fritz Steisslinger, Böblingen

und zwei Wochen später:

„Heut Früh ein Portrait des Hauptmanns angefangen. Untermalt in einer Stunde“ und kommentiert weiter: „Gemalt, wie das klingt! Wie mitten im Frieden. Ziemlich weit bin ich gekommen und morgen früh komme ich in die Feuerstellung und der Hauptmann.“

Ebenda

Als er einige Tage später fertig ist, schreibt er:

„Portrait fertiggemacht. Danach sind sie drum herumgetanzt. Grossartig – Tadellos!“

Ebenda

In solchen privaten Äußerungen dokumentiert sich der Irrsinn dieses Krieges – aber kaum in Steisslingers Bildern – denn: das Bemerkenswerte an seinen Ölskizzen ist, dass sie keine Kampfhandlungen zeigen und keine dramatischen Ereignisse. Er malt v. a. die Kameraden und ihren Alltag beim Harren im Unterstand. Allenfalls ein „Soldat auf der Lauer“ verweist unmittelbar auf Kriegsereignisse oder einige Skizzen mit Bränden und Zerstörungen in Dörfern als Folgen des Krieges:

Oben v.l.: Fritz Steisslinger: Ruinen, um 1916/17, Öl/Lwd./Pappe, 12 x 9,2 cm – Brandherd zwischen Häusern, um 1916/17, Öl/Lwd./Pappe, 12,5 x 10,6 cm – Zerstörte Häuser im Dorf, um 1916/17, Öl/Lwd./Pappe, 10,4 x 15,4 cm
Unten: Zwei Soldaten am Unterstand, um 1916, Öl/Lwd./Pappe, 13 x 24,3 cm

Ansonsten gibt es noch eine Tusche-Zeichnung zum Neujahr 1918:

Fritz Steisslinger: Ich wünsche Dir nur im Neuen Jahr, es sei nicht schlimmer als das alte war, 1917, Tusche, 9,5 x 14,4 cm

Das ist alles, ansonsten nichts vom Schrecken und Sterben im Krieg – wie es uns drastisch Dix oder Beckmann vorführen. Diese gibt es auch bei ihm, aber nur in seinem privat gebliebenen Tagebuch! Solche Schilderungen sind nicht für die Öffentlichkeit bestimmt – warum, das begründet er in einem Brief an seinen Sohn Hans im Zweiten Weltkrieg, in dem der Vater und seine drei Söhne, von denen er zwei verlieren sollte, dienten:

„… Wir sind zwei Kriegsgenerationen schlechthin.
Wenn ich mir in Erinnerung zurückrufe meine eigenen Bedrängnisse während des letzten Krieges (1914–1918), so kommt es mir vor, als erlebte ich nach Deinem Bericht alles nochmals.

Dabei habe ich auch in diesem Krieg wieder etwas mitgetan und viel Kampf und Elend in jeder Form erlebt. Fast 8 Jahre war ich Front- oder Kriegssoldat. […]
Das Wesentliche alles Schrecklichen habe ich damals jedenfalls für mich behalten. Ich habe es ein ganzes Leben lang niemals in seiner ganzen Nacktheit von mir gegeben – – – selbst dann nicht, wenn damit ein gewisser Eindruck zu meinen Gunsten hätte erzielt werden können.
Wie in meiner Malerei […] habe ich in jeder Hinsicht und vor allem in der als Mann, möglichst immer das gesagt und getan, was für die von mir geschützte oder gar geliebte Umwelt gerade noch erträglich sein konnte. Was unter dem Strich lag, hat mich nie interessiert.“

Brief an den Sohn Hans, 19. September 1943

Steisslinger war zwar jederzeit kompromisslos in seiner künstlerischen Haltung gewesen, doch den Zynismus der Welt im Bild zu spiegeln, ihn gar zu überzeichnen und übersteigern, wie Max Beckmann, Otto Dix oder George Grosz es getan haben, und die Abgründe des menschlichen Seins vorzuführen, das war ihm fremd.

Das Wesentliche alles Schrecklichen habe ich damals jedenfalls für mich behalten.

Fritz Steisslinger

Für Dix ist so etwas eine spießbürgerliche Hemmung, für Steisslinger ein Gebot der Humanität. Ein größerer Gegensatz in den Haltungen lässt sich kaum denken. Die Kunstgeschichtsschreibung ist in ihrem Urteil Dix gefolgt und hat sich bis heute mit ihm auf die Seite der extremen Entblößung extremer Gewalt geschlagen – die Diskretion, wie sie Fritz Steisslinger mit seiner Haltung und seinen Werken verkörpert, steht auf verlorenem Posten. Ein Umstand, über den sich nachzudenken lohnt.

— Fortsetzung folgt —

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Jahrestag Kunstgeschichte

Logenplatz Weltuntergang

Max Beckmann: Die Loge, 1928, Öl auf Leinwand, 121,2 x 84,8 cm, Staatsgalerie Stuttgart.
© CC BY-SA 4.0

Zum Geburtstag von
Max Beckmann
(12. Februar 1884)

Das Datum des heutigen Tages, 12.02.2021, weist eine Eigentümlichkeit auf, die besonders geeignet ist, sich dem Werk von Max Beckmann zuzuwenden, der an diesem Tag vor 137 Jahren in Leipzig geboren wurde: Von vorne wie von hinten gelesen ergeben die Ziffern dieselbe Folge und mithin dasselbe Datum. Es ist – bildlich gesprochen – ein Spiegeldatum (in Bezug auf die schriftliche Zahlenfolge bezogen wird dies als Palindrom bezeichnet).

Max Beckmann hat sich in seinem Werk einen eigenen Kosmos aus Mythologie und Geschichtserfahrung geschaffen, in dem Spiegelungen jeglicher Art, als Vorstellung oder Idee, als Thema und Motiv, eine herausragende Rolle spielen, wie jetzt leicht im Werkverzeichnis zu sehen ist. Wie wohl kein anderer und keine andere unter den großen künstlerischen Individuen des 20. Jahrhunderts versteht er das gemalte Bild als eine Bühne, als ein imaginiertes Theater, auf dem von den großen Gefühlen und Dramen des Menschen, seinen Leidenschaften und Katastrophen erzählt wird.

Die Abstraktion im Sinne ungegenständlicher Kunst blieb ihm fremd, da für ihn der Mensch und sein Schicksal im Zentrum alles Strebens und Wirkens stand – dazu gehörte für ihn unverzichtbar auch der Raum, in der sich alles Menschliche ereignet – und der für ihn ein großes Mysterium darstellte. Diesen Raum im Medium der Malerei erst zu schaffen, ihn als Lebenswelt im Bild zur Wirkung zu bringen, darin sah Beckmann die eigentliche Aufgabe und Fähigkeit künstlerischen Abstraktionsvermögens.

„Es handelt sich immer wieder darum, die Magie der Realität zu erfassen, und diese Realität in Malerei zu übersetzen. – Das Unsichtbare sichtbar machen durch die Realität. – Das mag vielleicht paradox klingen, – es ist aber wirklich die Realität – die das eigentliche Mysterium des Daseins bildet!“

Max Beckmann: „Über meine Malerei“, Rede gehalten in der Ausstellung Twentieth Century German Art in den New Burlington Galleries, London, 21.07.1938

Seine Karriere begann Beckmann im ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts in Berlin, wo er kraftstrotzend und voller Selbstbewusstsein als junger Maler mit höchsten Ambitionen die Bühne der Öffentlichkeit betrat. Die schnell wachsende Anerkennung bestärkte ihn zusätzlich. Das Selbstbildnis mit Zigarette, das er 1907 als Stipendiat der Villa Romana in Florenz gemalt hat, zeugt ebenso davon wie die Themen und Dimensionen seiner Werke.

Figurenreiche Großformate, die sich ebenso klassischen Geschichten der Historienmalerei widmen – etwa Sintflut, 1908, oder Amazonenschlacht, 1911 – wie aktuellen Ereignissen – so Szene aus dem Untergang von Messina, 1909 (durch ein Erdbeben – siehe dazu: Drama am Ätna), oder Untergang der Titanic, 1912.

Anlass von großen Dramen und Katastrophen zu erzählen, sollte er zeitlebens genug finden – und wie ungeheuerlich manche sein würden, davon hatte der kühne Kunstjüngling genauso wenig eine Vorstellung wie alle anderen. Noch ahnte er nicht, dass er zu jener Generation in Deutschland gehören wird, in deren Lebenszeit die drei größten Katastrophen des Jahrhunderts sich ereigneten – die beiden Weltkriege und die Nazi-Diktatur,  die ihn wie so viele andere Menschen zwang, das Land zu verlassen, weil sie aufgrund ihrer Herkunft, ihres jüdischen Glaubens, ihrer politischen Haltung oder ihres Wirkens bedroht oder verfolgt wurden.

„Das Leben ist immerhin schwierig, ich glaube diese Neuigkeit dürfte nun doch schon allgemein bekannt sein.“

Max Beckmann: „Über meine Malerei“

Als er dies im Jahr 1938 sagte, stand das Schlimmste für ihn und die meisten anderen noch bevor. Genau ein Jahr zuvor war er mit seiner Frau Mathilde, genannt „Quappi“, gleich nachdem sie Adolf Hitlers Rede zur Eröffnung der Femeschau „Entartete Kunst“ gehört hatten, aus Berlin nach Amsterdam geflohen, wo sie beide bis Kriegsende im Exil leben sollten.

Max und Quappi Beckmann überlebten Exil und Krieg, hatten stets Freunde und Unterstützer, die ihnen in kritischen Situationen während dieser Zeit halfen und auch in der Zeit danach, als es galt, noch einmal neu anzufangen. Sie unternahmen diesen Neuanfang in den Vereinigten Staaten. Dort organisierten Freunde Ausstellungen mit seinen Werken und sie verhalfen ihm zu Lehraufträgen an amerikanischen Kunsthochschulen.

In kaum mehr als zwei Jahren lehrte er – einmal quer durch die USA – an der Washington University Art School in St. Louis, der Kunstschule der Universität in Boulder, Colorado, dem Mills College in Oakland, California, sowie der American Art School und Brooklyn Museum Art School in New York.

Der kunsthistorische Rang seiner Malerei war inzwischen international unbestritten. Seine wichtigsten Werke haben bald den Weg in die großen Museen Europas und der USA gefunden.

Beckmann hatte seit Kriegsende mehrere Berufungen von deutschen Kunsthochschulen erhalten, die er sämtlich ablehnte. Er lebte zuletzt in New York und sollte Deutschland bis zu seinem Tod am 27. Dezember 1950, im Alter von 66 Jahren, nicht mehr betreten.

„Die neue Idee, die der Künstler und mit ihm zu gleicher Zeit die Menschheit zu formen hat, ist Selbstverantwortung.“

Max Beckmann: „Der Künstler im Staat“, in: Europäische Revue, Nr. 3, 1927, S. 288