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Über Werden und Wandlung künstlerischer Reputation
– I –

Zu den spannendsten Fragen im Hinblick auf die Etablierung, Durchsetzung, Wahrnehmung, Deutung und Würdigung großer Kunst gehört die Frage, wie sich künstlerischer Ruf etabliert, festigt und behauptet oder wieder vergeht.

Also: Beruht die Größe, die von Kunstkritik und Kunstgeschichte Künstlern und Künstlerinnen zugeschrieben oder vorenthalten wird, grundsätzlich mehr auf wohlbegründeten Kriterien als auf unbewussten Reflexen? Oder dreht gar mitunter Fortuna am Rad der Reputation?

Die Methode, mit der ich dieser Frage nachgehe, besteht im Folgenden größtenteils in der Gegenüberstellung exemplarischer Karrieren von Künstlern bzw. Künstlergruppierungen, die Auswahl dieser wiederum hat sich aus meiner eigenen Museums- und Forschungstätigkeit in den zehn Jahren meiner Tätigkeit als Leiter des Kunstmuseums Hohenkarpfen ergeben – einem Regionalmuseum, das sich der Aufarbeitung der südwestdeutschen Kunst widmet.

Die meisten der dort von mir ausgestellten Künstler habe ich vor meiner Arbeit dort nicht gekannt und sie werden sowohl von den Verantwortlichen in den Staatlichen Museen (Staatsgalerie Stuttgart, Kunsthalle Karlsruhe) als auch von den Kollegen in den Städtischen Museen und Landkreisen selbst zumeist nur als regionale Größen gesehen – selbst dann, wenn diese Künstlerinnen und Künstler einst national und international als bedeutend anerkannt waren.

In vielen Fällen sind diese Urteile sicher nachvollziehbar, doch mir stellten sich mit der Zeit immer mehr Fragen zu den Begründungen und Argumenten dieser Urteile, um so mehr, als mir auch die Begründungen und Urteile für die Hochschätzung anderer, heute angesehener Künstler zunehmend fragwürdig – im wörtlichen Sinne – erscheint.

Sie scheinen mir oft – wie häufig noch die Beurteilungen zur Kunst des 19. Jahrhunderts vor ca. 40 Jahren – weniger historisch im Sinne einer Geschichtsschreibung, die versucht zu verstehen, was in einer Zeit virulent ist, was Geltung, Bedeutung oder Wirkung gehabt hat, als vielmehr ideologisch, und zwar in dem Sinne, dass sie sich im Widerstreit der zeitgenössischen Auseinandersetzungen auf eine Seite schlägt und deren Argumente zu scheinbar objektiven Maßstäben der Kunstgeschichte macht.

Darüber hinaus werden die Ursachen für diese Parteinahme oft nicht im ausreichenden Maß reflektiert, so wird vollkommen verkannt, wie sehr in vielen Fällen die Rezeption von historischen Umständen, die auch vollkommen anders hätten sein können, bestimmt wird.

Um diesen Gedankengang anschaulich zu machen, beginne ich mit einem Fall, der in den letzten Jahren für viel Aufmerksamkeit gesorgt hat und stelle diesen in einen größeren Zusammenhang.

Expressionismus und das Dritte Reich – oder vom Glück des Unglücks

„Der Führer ist groß u. edel in seinen Bestrebungen u. ein genialer Tatenmensch.“ — „Den Nationalsozialismus verehre ich als die besondere und jüngste Staatsform, die Arbeit ist zur Ehre erhoben. Und ich habe den Glauben, dass unser großer deutscher Führer Adolf Hitler nur für das Recht und Wohl des deutschen Volkes lebt und wirkt und auch, dass er in ernsten Sachen von Grund auf die Wahrheit wissen will, [… ich bin] stets und immer im In- und Ausland für die große deutsche nationalsozialistische Sache mit vollster Ueberzeugung eingetreten. Ich habe den Eindruck, dass meine um 1910 geführten Kulturkämpfe gegen die herrschende Ueberfremdung in allem Künstlerischen und gegen die alles beherrschende jüdische Macht, jetzt nur noch wenigen bekannt sein möge.“[1]

Adolf Ziegler: Die vier Elemente, vor 1937, Öl/Leinwand, 180 × 300 cm, Bayerische Staatsgemäldesammlungen, Pinakothek der Moderne
Emil Nolde: Masken Stillleben III, 1911,
Öl/Leinwand, 74 x 78 cm, The Nelson-Atkins Museum of Art, Kansas City, Missouri.

Nun die Frage: Von welchem der beiden Künstler, deren Werke hier zu sehen sind, stammen diese Sätze? Zur Klärung dieser Frage zitiere ich weiter:

„Es wird gesagt, dass meine Kunst von Juden gefördert und gekauft worden ist. Auch das ist falsch. Einzelne versprengte Bilder sind in den späteren Jahren durch den Kunsthandel zu Juden gekommen, im Allgemeinen jedoch bekämpfen sie mich. Die Reinheit und das ursprüngliche Deutsche in meiner Kunst haben sie bespöttelt und nie gewollt. Meine wesentlichen Bilder sind alle in deutschem Besitz, von Deutschen gekauft, die durchaus nicht fremdländisch angekränkelt, sondern bewusst Deutsche sind.“ [2]

Emil Nolde trat schon 1934 der Nationalsozialistischen Arbeitsgemeinschaft Nordschleswig bei, die ein Jahr später mit anderen NS-Organisationen der Region die NSDAP Nordschleswig mitbegründeten. Er blieb bis zum Ende des Krieges in der Partei und berief sich immer wieder auf seine Mitgliedschaft. Aus den Jahren 1933 bis 1945 gibt es zahlreiche Dokumente, die belegen, dass Nolde und seine Frau sich für die Ideologie und Politik der Nationalsozialisten begeisterten und die „Machtergreifung“ begrüßten. Nolde hatte lange gehofft, dass die Nationalsozialisten den Expressionismus zur „nordischen“ Staatskunst erklären und dass sie ihn, Nolde, aufs Podest heben würden. Grund dies zu hoffen, hatte er:

In den ersten Jahren des Dritten Reiches gab es heftige Auseinandersetzungen um den Expressionismus als Deutscher Kunst. Es gab ebenso viele und gewichtige Befürworter wie Gegner. Kreise um Goebbels, den späteren Kulturminister Bernhard Rust und Reichsjugendführer Baldur von Schirach versuchten, die Kunstpolitik des Regimes für den Expressionismus zu gewinnen.

Im Dezember 1933 schrieb Joseph Goebbels in einem in der deutschen Tagespresse veröffentlichten Glückwunschtelegramm „namens der deutschen Künstlerschaft“ an den norwegischen Maler Edvard Munch, daß dieser als der „kraftvolle, eigenwillige Geisterbe nordischer Natur“ geschätzt werde und sein Werk „nordischgermanischer Erde entsprossen“ sei.[3]

Der Lübecker Museumsdirektor Carl Georg Heise äußerte im März 1933: „…daß Nolde und Barlach nicht nur die besten und am meisten norddeutsch-bodenständigen, sondern zugleich auch im revolutionären Sturm ihres gefühlsbetonten intellektfremden Schaffens diejenigen Meister sind, die mit geistigen Waffen in der gleichen Richtung längst vorgestoßen sind, in der jetzt auf politischem Gebiet die jungen deutschen Führer ihr Ziel erkennen“.[4]

Die führenden Kader des Nationalsozialistischen Studentenbundes sahen Heckel, Nolde, Rohlfs, Schmidt-Rotluff, Barlach, Kolbe und Lehmbruck als – Zitat: „die Vorläufer der Kunst, die der Nationalsozialismus in ihrem Geist fortsetzen wolle“.

Ende Oktober 1933 wurde die Zeitschrift „Kunst der Nation“ ins Leben gerufen, mit der erklärten Absicht, „avantgardistische Kunst und nationalsozialistische Politik zueinander ins Verhältnis zu setzen, beide gar als Ausdruck des gleichen Strebens in verschiedenen Gebieten zu deuten“. — „In philosophischer Hinsicht bildete Nietzsche, in künstlerischer der Expressionismus, in politischer der Nationalsozialismus den Bezugspunkt ihres Denkens.“[5]

Die Beispiele ließen sich fortsetzen. Doch schließlich kam es anders, weil sich die Fraktion von Hitlers Blut-und-Boden-Ideologe Alfred Rosenberg durchsetzen konnte, vor allem aber das „größte Kunstgenie aller Zeiten“: Hitler persönlich beendete nach den Olympischen Spielen 1936 in Berlin, bei denen er sich noch liberal geben wollte, die Debatte, indem er den Expressionismus als degeneriert ablehnte. Goebbels ließ daraufhin auch jene Nolde-Werke abhängen, die bis dahin seine Privatwohnung geschmückt hatten.

Und so wars nichts für den Expressionismus und auch Nolde wird, zu seinem Entsetzen, von den Nationalsozialisten nicht erhört. Im Jahr 1937 werden mehr als tausend seiner Werke aus deutschen Museen konfisziert, knapp fünfzig davon in München auf der Propagandaausstellung „Entartete Kunst“ gezeigt. Nolde, der ungeheuer erfolgreich in der Weimarer Republik gewesen war, verkauft trotzdem weiter, gut sogar. Als er 1940 mehr als 52.000 Reichsmark einnimmt, wird er aus der Reichskammer der Bildenden Künste ausgeschlossen – erst möchte man sagen, das ist anderen viel früher geschehen. Die Zurückweisung traf Nolde hart. Erst nach dem Krieg wurde zu seinem Glück, was bis 1945 sein Unglück war.

Und damit kommen wir zum Punkt: Was wäre gewesen, wenn sich die Pro-Expressionismus-Fraktion im Dritten Reich durchgesetzt hätte, wenn sie Hitler überzeugt hätten?

1) Wie hätten sich expressionistische Künstler jüdischen Künstlern gegenüber verhalten – Nolde z.B. hat immerhin versucht seinen Künstlerkollegen Max Pechstein als „Juden“ zu denunzieren.[6] –oder konservativen Abweichlern wie dem heute als „Reichsschamhaarmaler“ apostrophierten Adolf Ziegler gegenüber? Und wie würden wir heute über diese urteilen, wenn sie statt der Expressionisten wegen ihres kaum deutsch zu nennenden klassizistischen Gehabes angegriffen worden wären?

Nolde ist der – der inzwischen bekannteste und berüchtigste (dazu Anmerkung unten) – Extremfall unter den schließlich verfemten Malern, aber auch Ernst Ludwig Kirchner hebt in Schreiben an deutsche Kunstfunktionäre Mitte der dreißiger Jahre das Deutsche an seiner Kunst heraus, und er distanziert sich in dem Moment vom Expressionismus, als klar wird, dass dieser im Regime nicht mehr zu halten sein wird.[7]

2) Wie würden wir heute über den Expressionismus sprechen, wenn er schließlich nicht verfemt, sondern tatsächlich vom Regime als deutsche Staatskunst propagiert worden wäre, wie Nolde es sich wünschte?

Nun, wir wissen, dass das Gegenteil eintrat – und dass der Expressionismus nach dem Krieg nicht nur rehabilitiert wurde, sondern tatsächlich und ausgerechnet als der DEUTSCHE Beitrag zur Avantgarde des 20. Jahrhunderts aufs Schild gehoben wurde und mit ihm das gute Gefühl auch auf der richtigen Seite zu stehen und für Gerechtigkeit zu sorgen.

Doch wie gerecht gings nach dem Krieg tatsächlich zu? Nicht nur in Verwaltung und Justiz setzten Nazi-Chargen ihre Karrieren fort, auch zahlreiche regimetreue Künstler erfreuten sich nach dem Krieg einer ungebrochenen Laufbahn. Viele aber, die behindert, verfemt und verfolgt worden waren, waren nicht mehr in der Lage, weiterzumachen oder wurden nicht in derselben Weise rehabilitiert wie die heute berühmten Expressionisten der Brücke und des Blauen Reiters – wovon zum Beispiel das Künstlerehepaar Maria Caspar-Filser und Karl Caspar betroffen ist, sie noch weit mehr als er, was im Folgenden gezeigt wird.

— Fortsetzung folgt —

Hinweis: 
Der Text geht auf einen Vortrag zurück, den ich mit einigen Varianten mehrfach zwischen 2011 und 2016 gehalten habe. Für diese Publikation im Blog ist er nur unwesentlich überarbeitet worden, und das obwohl — nein gerade weil — in mehreren Fällen, die hier beispielhaft vorgestellt werden, einige Bewegung in die Bewertung gekommen ist. Gerade darin zeigt sich die Aktualität der hier geäußerten Überlegungen. 
Das betrifft insbesondere Emil Nolde, dessen Gesinnung aufgrund der Ausstellungen und Publikationen seit 2013 nun wirklich allen massiv vor Augen geführt wurde. Sie war zwar auch schon zuvor weitestgehend bekannt und belegt, was aber bis dahin in der öffentlichen Debatte noch nicht genug durchgedrungen war. 
Die Zusammenfassung der neueren Forschungsergebnisse dazu auf der Seite der Nolde-Stiftung, Seebüll: https://www.nolde-stiftung.de/der-kuenstler-im-nationalsozialismus/

Auch in den Fällen der deutschen Malerstars der letzten Jahrzehnte, allen voran Georg Baselitz, Gerhard Richter oder Anselm Kiefer, die von mir zum Ende meiner Überlegungen exemplarisch für die Frage nach künftigen Wandlungen der Reputation herangezogen werden, zeichnen sich im Zuge aktueller gesellschaftlicher Tendenzen Neubewertungen ab. Beispielhaft hierfür diese Ausstellungskritiken: 
Elena Korowin in Monopol: https://www.monopol-magazin.de/richter-kiefer-polke-baselitz-stuttgart
Hanno Rauterberg in der ZEIT: https://www.zeit.de/2019/17/die-jungen-jahre-der-alten-meister-kuenstler-ausstellung 


[1] Emil Nolde, Brief an an den norwegischen Kunsthistoriker Henrik Grevenor in Oslo, November 1933, zit.n. Stefan Koldehoff: „Noldes Bekenntnis“, in ZEIT, 42, 10. Oktober 2013, online: http://www.zeit.de/2013/42/emil-nolde-nationalsozialismus.

[2] Emil Nolde, Brief an Joseph Goebbels, 6.12.1938, zit. n. Koldehoff, wie Anm. 1.

[3] Joseph Goebbels: Glückwunschtelegramm an Edvard Munch zum 70. Geburtstag, zit. n. Christoph Zuschlag: „Entartete Kunst“: Ausstellungsstrategien im Nazi-Deutschland. Worms: Werner 1995 (Heidelberger kunstgeschichtliche Abhandlungen, N.F., 21), S. 45.

[4] Der Lübecker Museumsdirektor Carl Georg Heise in seiner Rede zur Eröffnung der Ausstellung „Schleswig-Holsteinische Graphik“ im Behnhaus, 26.03.1933. Zit. n. Zuschlag wie Anm. 3, S. 45.

[5] Stefan Germer: „Kunst der Nation. Zu einem Versuch, die Avantgarde zu nationalisieren“, in: Bazon Brock und Achim Preiß (Hrsg): Kunst auf Befehl? Dreiunddreißig bis Fünfundvierzig. München: Klinkhardt & Biermann 1990, S. 28.

[6] Bernhard Fulda und Aya Soika: Max Pechstein: The Rise and Fall of Expressionism, Berlin/Boston: De Gruyter, 2013, S. 302.

[7] von Bülow: „Der Fall Kirchner. Provenienz und Restitution von Ernst Ludwig Kirchners Berliner Straßenszene“, in: Uwe Fleckner (Hrsg.): Das verfemte Meisterwerk. Berlin: Akademie-Verlag 2009 (Schriften der Forschungsstelle „Entartete Kunst“), S, 548–549.

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Jahrestag Kunstgeschichte

Maria Caspar-Filser – Malerin

Sestri Levante, 1924, Städtische Galerie Fähre Privatbesitz Bad Saulgau, Leihgabe aus Privatbesitz, © Köster/VG Bild-Kunst

Aus Anlass des Weltfrauentages

Zu Lebzeiten war Maria Caspar-Filser (1878–1968) eine der angesehensten deutschen Künstlerinnen überhaupt. Ihre herausragende Stellung in der Kunstwelt belegen sowohl ihre Ausstellungsteilnahmen wie die Würdigungen, die sie für ihr Werk erhalten hat.

Sie wurde als Maria Filser am 7. August 1878 in Riedlingen an der Donau geboren. Schon früh widmete sie sich ernsthaft der Malerei. Zwischen 1896 und 1903 studierte sie an der Akademie Stuttgart bei Friedrich von Keller und Gustav Igler. Zwischenzeitlich besuchte sie die Klasse von Ludwig von Herterich an der Akademie in München, wo sie sich mit Karl Caspar, den sie 1907 geheiratet hatte, im Jahr 1909 niederließ.

Sie machte sich nach ihrem Studium einen Namen als Landschafts- und Stilllebenmalerin. In der Auseinandersetzung mit der Freilichtmalerei, mit Paul Cézanne und Vincent van Gogh entwickelte sie eine eigene Bildsprache, geprägt von reicher Farbkultur und malerischer Unmittelbarkeit. Ihre – wie Wilhelm Hausenstein sagt – „strömende Freiheit des Malerischen“ macht das sinnliche Erleben der sichtbaren Welt unvermittelt im Bild anschaulich.

Mit ihrer Malerei gewann sie höchste Anerkennung. Exemplarisch ist die Würdigung Caspar-Filsers zur Jahresausstellung 1909 im Württembergischen Kunstverein in Stuttgart:

„Das Beste, was die diesmalige Ausstellung des Kunstvereins enthält, stammt von Damenhand. Alles das, was Frau Maria Caspar-Filser, Balingen, in ihrem kleinen Sonderkabinett zeigt, sind Arbeiten, in denen sich ein eminenter Fleiß mit wirklich bedeutendem Können deckt. Sichtbar auf ernstem, intensiven Studium ruhend, hat sich das Talent dieser Künstlerin zu einer beachtenswerten Höhe entwickelt. Kein Mensch, der unbefangen diesen Arbeiten entgegentritt, wird als Autor eine Dame vermuten. Ein halbes hundert solcher Künstlerinnen im deutschen Malerland, und alle Vorurteile gegen die malende Frau sind zuschanden gemacht.“ (A. Dobsky, Schwäbische Tagwacht, 1909)

1912 war sie als eine von nur vier Frauen auf der berühmten Sonderbund-Ausstellung in Köln vertreten, die heute als ein Meilenstein in der Geschichte der Avantgarde-Kunst gilt. Sie gehörte, jeweils als einzige Frau, zu den Gründungsmitgliedern der SEMA im Jahr 1911 und der Münchener Neuen Secession 1913.

„Wenden wir uns nun der Kerntruppe der Neuen Secession zu, so ist zu allererst der starke Fortschritt zu rühmen, den man in den Werken der Frau Caspar-Filser beobachtet. Das ist eine frische Art von Malerei, ein Strahlen und Blühen der Farbe, eine Schlichtheit der Diktion, eine natürliche Vereinfachung aller Formen, die absolut zwingend wirkt.“

August L. Mayer: „Sommer-Ausstellung der Münchener Neuen Secession“ in:
Deutsche Kunst und Dekoration, 42, Nr. 21, 1918, S. 295.

Ab 1925 lehrte sie an der Akademie in München und erhielt als erste deutsche Malerin den Professorentitel. Sie war insgesamt vier Mal auf der Biennale in Venedig vertreten, 1924, 1926 und 1928 sowie 1948. Caspar-Filser war einhellig anerkannt als eine der wichtigsten Künstlerpersönlichkeiten der Zeit. Sie pflegte mit ihrem Mann einen großen künstlerischen und intellektuellen Freundeskreis, zu dem u.a. Paul Klee, Alfred Kubin, Alexej Jawlensky, Marianne von Werefkin, Hans Purrmann, Karl Schmidt-Rottluff oder Karl Hofer gehörten.

Doch Caspar-Filser und ihr Mann Karl Caspar wurden Opfer des vernichtenden Wirkens der nationalsozialistischen Diktatur, während der beide als „entartet“ geächtet und verfolgt wurden. Schon Ende der 1920er-Jahre hatten die Anfeindungen gegenüber der Malerei Caspar-Filsers in national und völkisch orientierten Medien begonnen.

Von Anfang an richteten sich die Angriffe der nationalsozialistischen Journalisten und Funktionäre sowohl gegen die künstlerische Formensprache als auch gegen die Unabhängigkeit und individuelle Freiheit der Malerin und ihres Mannes, die im Werk wie im persönlichen Auftreten ihren Ausdruck fand.

Beide wurden als einzige in München lebende Künstlerpersönlichkeiten in der Femeschau „Entartete Kunst“ diffamiert. Caspar-Filser war eine von nur vier weiblichen Künstlern in der Ausstellung. Die anderen waren Jacoba van Heemskerck, Margarete Moll und Emy Röder.

Das Paar zog sich in der Folge in die innere Emigration nach Brannenburg am Inn zurück (wo Maria Caspar-Filser bis zu ihrem Tod am 12. Februar 1968 lebte). Ihre Werke wurden aus sämtlichen Museen entfernt und teilweise zerstört. Als entartete Künstler sind sie auf die Versorgung mit künstlerischen Materialien durch Schüler von Karl Caspar und Freunde angewiesen. Menschlich berührend ist der freiwillige Verzicht von Karl Caspar auf die Malerei in Zeiten materieller Engpässe. Er überlässt seiner Frau die Ölfarben, „weil sie ohne Pinsel und Farben todunglücklich ist“.

Maria Caspar-Filser: Septembermond im Inntal, 1935, Privatbesitz
© Köster/VG Bild-Kunst

Nach dem Krieg setzte sie ihr künstlerisches Wirken fort und sie wird zu zahlreichen Ausstellungen eingeladen. Beispielsweise zeigt 1951 die Staatsgalerie Stuttgart Maria Caspar-Filser und Karl Caspar und 1958 ist sie auf den beiden wichtigen Überblickschauen Deutsche Kunst von 1905 bis heute in Mailand und Aufbruch zur modernen Kunst in München vertreten. Außerdem erfuhr sie wieder höchste Ehrungen. 1947 wird sie mit dem Förderpreis für Bildende Kunst der Landeshauptstadt München geehrt und 1950 Mitglied der Bayerischen Akademie der Schönen Künste.

Im Jahr 1952 erhält sie mit Karl Caspar gemeinsam als erste den neu geschaffenen Oberschwäbischen Kunstpreis. 1959 wird sie als erste Malerin mit dem Großen Bundesverdienstkreuz der Bundesrepublik Deutschland ausgezeichnet. Desweiteren wird ihr 1961 während einer Ausstellung im Musée National d’Art Moderne die Medaille der Stadt Paris verliehen.

Dennoch ist ihrem herausragenden Werk bis heute jene – zuvor erworbene und eigentlich zustehende – überregionale Wirkung versagt geblieben, wie sie anderen verfemten Künstlern, aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu bekannten Avantgarde-Gruppen des 20. Jahrhunderts und deren umfassender kunsthistorischer Würdigung nach dem Zweiten Weltkrieg wieder zuteil wurde.

So bedeutet die Ächtung im Nationalsozialismus für sie (neben persönlichem Leid) einen bis heute wirksamen Einschnitt der kunsthistorischen Wertschätzung, die seitdem in keinem Verhältnis zu ihrem künstlerischen Rang steht.